Vi menn ("Wir Männer"), Nr. 10 / 1997:

Die "Norweger" stahlen meine Tochter.

Die Sekte "Die Norweger" gewann den Kampf um die Seele einer jungen Frau.

"Die Norweger" werden sie in Österreich genannt. Ein Zweig der fanatischen norwegischen Sekte Smiths Freunde, deren Mitglieder sich selbst als Gottes Auserwählte betrachten. Auch hier (d.h. in Norwegen) werden sie der Gehirnwäsche beschuldigt. Das ist die Geschichte einer Familie, deren Tochter von den "Norwegern" "gestohlen" wurde.

Vi menn - Reportage, Text: Jan Fiksdal

Als meine Tochter eines Tages heimkam und sagte, sie müsse uns zur Lehre der "Norweger" bekehren - und sie müsse sich dann umbringen, weil auch sie von Gott verdammt sei - verstanden wir, daß die Sekte sie ernstlich geisteskrank gemacht hatte. Später, als sie verstand, daß sie uns nicht dazu überreden konnte, zur Sekte mitzukommen, machte sie mit den Drohungen ernst und versuchte, Selbstmord zu begehen.

Es ist ein Österreicher und Freund Norwegens, der Diplomingenieur Friedrich Griess, der dies zu "Vi Menn" sagt.

15 Jahre lang hat er gekämpft, um seine nun 34 Jahre alte Tochter dem Griff der norwegischen Sekte zu entreißen. Aber es war vergebens. Ganz im Gegenteil hat sie nun alle Verbindungen abgebrochen und verurteilte ihn zu Tod und ewiger Verdammnis. Er ist überzeugt, daß sie unter "Gedankenkontrolle" steht - oder total gehirngewaschen wurde.

- Was die Angelegenheit besonders tragisch macht, ist, daß die Sekte Vorteile aus dem guten Namen und Ruf zieht, den Norwegen und die Norweger in unserem Land haben. Eine religiöse Gemeinde mit norwegischem Ursprung kann unmöglich schädlich sein, denken viele. Aber ich und viele mit mir mußten etwas anderes erfahren, erzählt Friedrich Griess.

- Deshalb haben wir, als Folge dessen, was mit unserer Tochter geschah, guten Kontakt mit einer langen Reihe von Aussteigern von den Smiths Freunden in Norwegen und in anderen Ländern Europas hergestellt. Wir haben erfahren, daß es eine Reihe von Tragödien bei Menschen gibt, denen es gelungen ist, auszubrechen, oder die in die tiefste Dunkelheit hinausgestoßen wurden. Besonders dort, wo Familien gespalten wurden, wo Kinder sich von ihren Eltern distanzieren, wo Eltern ihre Kinder an die Sekte verloren haben.

Wie verhext

Sie war 19, als sie das Geschwisterpaar P. und E. K. bei einem Norwegischkurs an der Universität Wien kennenlernte. Das Interesse an Norwegisch war dadurch bedingt, daß die Familie einige Jahre in Norwegen gewohnt hatte. Sie ließ sich dazu überreden, mit ihnen zu einer religiösen Versammlung mitzukommen.

- Wir wußten, daß es sich um eine Sekte handelt, und warnten sie, erzählt Griess. - Aber sie versicherte uns, daß keine Gefahr bestehe. Sie war, wie wir selbst, religiös interessiert und arbeitete in einer katholischen Jugendgruppe mit, die sich um behinderte Kinder kümmerte. Sie sagte, daß ihre neuen Freunde religiös einfältig wirkten, und daß sie nur zu dem Treffen mitgehen wolle, um nett zu sein.

Zu dieser Zeit waren "Die Norweger" oder Smiths Freunde für uns unbekannt, setzt Griess fort. - Aber die Sekte, die in 40 Ländern verbreitet ist, etablierte sich in Österreich in den 60er-Jahren und gibt an, dort 300 Mitglieder zu haben. Sie bestreiten sehr, daß sie eine Sekte sind. Die "Norweger" sind ihrem Repräsentanten Dietrich Huemer gemäß ein "loser Verbund von Familien, die einander stärken wollen".

Sie änderte ihren Charakter nach ihren ersten Treffen mit der Sekte erschreckend schnell.

- Einmal war sie ein lebensfrohes, intelligentes und vor allem musikalisch begabtes junges Mädchen gewesen. Sie spielte Geige und Klavier und war in der Arbeit der katholischen Gemeinde mit behinderten Kindern engagiert. Sie hatte im Gymnasium gute Noten und wir sahen für sie eine leuchtende Zukunft voraus. Plötzlich war sie wie verhext. Es war, als ob sie sich in einer anderen Welt befände, erzählt der Vater.

"Love bombing"

Griess ist überzeugt, daß seine Tochter mittels "love bombing" geworben wurde, ein Kniff, den auch einzelne andere Sekten gegenüber möglichen Interessierten benützen: Sie wurde mit Freundlichkeit und mit besonderer Aufmerksamkeit von seiten des attraktiven Medizinstudenten Peter überschüttet, den sie im Norwegischkurs kennengelernt hatte.

- Eine Tages kam sie heim und bestand darauf, daß wir uns den "Norwegern" anschließen müßten, sonst seien wir verloren.

Außerdem erzählte sie, daß sie ihre Ausbildung nicht fortsetzen oder einen anderen Beruf als Bodenwaschen erlernen dürfe, da sie sonst nicht demütig genug würde. Sie sagte, sie müsse mit dem Klavier- und Geigenunterricht aufhören, denn "Künstler seien moralisch minderwertig". Sie dürfe nichts anderes lesen als die Bibel und die Schriften der Gemeinde.

Nach langer Überredung gelang es der Familie, sie zum Beginn einer Physikotherapieausbildung zu bewegen.

- Sie konnte jedoch wegen Konzentrationsproblemen dem Unterricht nicht folgen. Außerdem durften sie sich keinen Körperkontakt mit den Patienten erlauben, die sie behandeln sollte.

- Es wurde immer schwieriger, mit meiner Tochter umzugehen, sagt Griess. - Sie wurde handgreiflich, gab mir Fußtritte und spuckte mir ins Gesicht, weil ich mich nicht bekehren wollte. Sie demolierte Einrichtungsgegenstände, und zweimal mußten wir die Rettung anrufen, um sie behandeln zu lassen.

"Tod und ewige Verdammnis"

Dann kam der Selbstmordversuch. Und im Mai 1985 war sie psychisch so niedergeschlagen, daß sie psychiatrische Hilfe und Therapie benötigte.

- Eine Zeitlang sah es so aus, als ob alles besser würde. Sie gewann Abstand von der Sekte und nahm ihr Studium wieder auf. Aber eines Tages entschloß sie sich, diese aufzusuchen, angeblich, um ihnen zu sagen, was sie ihrer Meinung nach falsch machten

Als sie heimkam, war sie wieder umgedreht. Sie führte sich wie ein gedankenkontrolliertes und unselbständiges Wesen auf.

Eine Zeitlang wohnte sie in der Wohnung der Griess-Familie, obwohl diese in einem Haus lag, das einer katholischen Gemeinde gehörte - was die Sekte als "Hurenhaus" betrachtet.

- Aber es wurde immer schwieriger, sie im Haus zu haben, und wir mußten ihr helfen, eine andere Wohnung zu finden. Gleichzeitig versuchte sie, auf jede mögliche Weise Geld von uns zu bekommen. Ihre Geige, für die ich einen Monatslohn bezahlt hatte, verschwand. Wir entdeckten, daß sie nach Norwegen geflogen war, vermutlich um dort Brüder von den Smiths Freuden zu treffen.

Der Kontakt der Familie Griess mit der Tochter wurde immer seltener, und sie fühlten, daß sie dabei waren, sie vollständig zu verlieren. Ihr Vater, Systemberater bei einer Computerfirma, begann mit viel Zeitaufwand Informationen über Sekten und Kulte zu sammeln und zu verbreiten - vor allem über die "Norweger".

- Dies führte zu neuen Drohungen und Angriffen, sagt der Vater. - Sie kam heim zu uns und drohte mit Tod und ewiger Verdammnis. Und in einem Brief an meine Frau schrieb sie: "Vater ist schlimmer als Hitler, weil er das Volk Gottes verfolgt. Er wird auf die gleiche elende Weise wie Hitler sterben. Es ist gefährlich, an ihn zu denken oder für ihn zu beten!"

Was sonst können wir glauben, als daß meine Tochter nach ihrem Treffen mit den "Norwegern" geisteskrank wurde - oder daß sie unter Gedankenkontrolle steht ? fragt Friedrich Griess.