Der neue Wein und die alten Schläuche

Mt 9. 16-17:

"Niemand setzt ein Stück neuen Stoff auf ein altes Kleid, denn der neue Stoff reißt doch wieder ab, uns es entsteht ein noch größerer Riß. Auch füllt man nicht neuen Wein in alte Schläuche. Sonst reißen die Schläuche, der Wein läuft aus und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuen Wein füllt man in neue Schläuche, dann bleibt alles erhalten."

Mk 2, 21-22:

"Niemand näht ein Stück neuen Stoff auf ein altes Kleid, denn der neue Stoff reißt doch vom alten Kleid ab, und es entsteht ein noch größerer Riß. Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche. Sonst zerreißt der Wein die Schläuche; der Wein ist verloren, und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuer Wein gehört in neue Schläuche."

Lk 5, 36-39

"Und er erzählte ihnen auch noch ein Gleichnis: Niemand schneidet ein Stück von einem neuen Kleid ab und setzt es auf ein altes Kleid; denn das neue Kleid wäre zerschnitten, und zu dem alten Kleid würde das Stück von dem neuen nicht passen. Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche. Denn der neue Wein zerreißt die Schläuche; er läuft aus, und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuen Wein muß man in neue Schläuche füllen. Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen; denn er sagt: Der alte Wein ist besser."

Alle Synoptiker berichten von diesem Gleichnis in fast übereinstimmender Wortfolge. Ich möchte nun nicht mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen, ob Jesus dies so gesagt haben kann. Ich möchte einfach annehmen, daß diese Worte von Jesus stammen.

Das zweite Vatikanische Konzil hat uns ein neues Verständnis von Kirche gebracht. Nicht mehr die feste Burg, die Pyramide mit dem Papst an der Spitze und den von der Hierarchie geführten Gläubigen an der Basis standen im Vordergrund, sondern die Kirche als Gemeinschaft aller Getauften, das wandernde Gottesvolk, in dem die verschiedenen Charismen, vom Geist ausgegossen, wirksam sind, sollte wieder hervortreten wie im frühen Christentum. Wir hatten neuen Wein, aber bekamen wir auch neue Schläuche, neue Strukturen, die diesem geänderten Verständnis von Kirche entsprachen? Nach einigen zaghaften Versuchen, neue Schläuche für den neuen Wein bereitzustellen, wurden diese abgeblasen. Man behauptet jetzt sogar, Jesus, der Herr der Kirche, wünsche - entgegen seinem eigenen oben zitierten Wort - nicht, daß der neue Wein in neue Schläuche gefüllt werde. Man predigt also ein "anders Evangelium". Der neue Geist findet sich zwar noch in vielen schönen Worten altschläuchiger Kirchenfürsten, die sich verbal auf das zweite Vatikanische Konzil berufen, aber er sitzt eingesperrt im Käfig, oder noch schlimmer, er ist bereits verschüttet, verloren. Sie wollen keinen neuen Wein, denn sie sagen "Der alte Wein ist besser", also behalten sie die alten Schläuche, in denen sich der neue Wein nicht hält. Jesus hat das richtig vorausgesehen. Was würde er wohl sagen, wenn er heute auf die Erde käme?

Daß die alten Schläuche reißen, sieht wohl jeder. Gerade in Österreich haben die Versuche der kirchlichen Restauration kläglich Schiffbruch erlitten. Aber immer noch meint man, man könnte ja die Risse und Löcher in den alten Schläuchen irgendwie noch zusammenflicken und stopfen. Allem Möglichen wird die Schuld daran gegeben, daß der Einfluß der Kirche auf die Menschen rapid abnimmt, nur nicht dem Umstand, daß man nicht das befolgt, was klar und deutlich im Evangelium steht. Die Diskussion über die Notwendigkeit neuer Schläuche, d.h. Strukturen, wird als "unwesentlich" und "zweitrangig" abgewertet. Hätte Jesus sich wohl mit unwesentlichen und zweitrangigen Fragen abgegeben?

9. Dezember 1999
Friedrich Griess