Thema: Der Papst
Katolsk kyrkotidning, Nov. 1996

"Mehrere Gegensätze haben sich verschärft -

die Leitung ist extrem zentralisiert"

Gunnel Vallquists Überlegungen zum Pontifikat Johannes Paul II.

Das Pontifikat von Johannes Paul II. wird sicher als eines der großen in neuerer Zeit in die Geschichte eingehen. Nach den letzten von Sorge und Wankelmut geprägten Jahren von Paul VI. und der tragisch abgebrochenen Regierung Johannes Paul I. wurde die Ankunft Papst Wojtylas mit Freude begrüßt. Mit seiner Ausstrahlung von innerlicher Frömmigkeit , menschlicher Wärme, Gesundheit und Kraft gab er den Katholiken Hoffnung und Trost. Sie fühlten, daß sie einen Führer bekommen hatten, dessen Persönlichkeit in einer Zeit, in der der Unglaube überhand nahm, ein Zeugnis für das Evangelium war.

Es zeigte sich bald, daß dieser Papst mit seiner reichen und umfassenden Begabung auch in der Weltpolitik eine bedeutende Rolle spielen sollte. Sein Einfluß wurde entscheidend für die friedliche Lösung der osteuropäischen Frage. Sein starkes Engagement für die Einheit der Christen und für einen brüderlichen Dialog auch mit den nichtchristlichen Religionen hatte große Bedeutung für die Ökumene, trotz einiger bedauerlicher Fehler im Verhalten den Orthodoxen gegenüber, die man wohl auf das Konto der römischen Administration schreiben muß.

Überzeugend bezüglich Gerechtigkeit

Im sozialen Bereich, in der Frage bezüglich Freiheit und Gerechtigkeit, war seine Verkündigung kraftvoll und überzeugend. Der frühere starke antikommunistische Einschlag, eine natürliche Folge konkreter persönlicher Erfahrung, ist nach 1989 hinter scharfen Warnungen vor den Gefahren des Marktkapitalismus in Form von Materialismus und Egoismus zurückgetreten. In all dem haben die Katholiken sich in ihrem Glauben gestärkt und in ihrem Gewissen erleuchtet gefühlt.

Dasselbe kann man nicht über die ständig wiederholten Ermahnungen bezüglich "künstlicher Geburtenkontrolle" sagen; hier weicht die große Mehrheit in der Kirche von der Verkündigung des Papstes ab und betrachtet sie als traditionelle Doktrin, die in unserer Zeit als unangemessen erlebt wird.

Barsches Diskussionverbot

Zuletzt hat sich auch ein anderer Gegensatz verschärft. Er bezieht sich vor allem auf die Frage der weiblichen Priester, die aus mehreren Gründen immer aktueller wurde. Hier hat sich die kirchliche Meinung in ziemlich kurzer Zeit von einer fast einstimmigen Abstandsnahme zu einer recht allgemeinen Bejahung oder zumindest Offenheit verändert. Das barsche Verbot des Papstes, die Sache überhaupt zu diskutieren, hat das Klima verschlechtert. Man kann die Menschen nicht daran hindern, Fragen zu stellen.

Kontroverse um Reisen

Die zahlreichen Reisen, die für dieses Pontifikat bezeichnend sind, haben die Katholiken in ihrer Identität gestärkt und haben für das ökumenische Klima viel bedeutet: wir brauchen nur an die nordische Reise von Johannes Paul zu denken.

Aber wenn der Papst nun wieder und wieder die verschiedenen Länder besucht, ist die Stimmung anders. Es gibt Kontroversen, man weist auf die Kosten hin, fühlt Unbehagen bei den Massenmedien, meint, daß er statt dessen in Rom bleiben und regieren sollte.

Kritik an der Ernennungspolitik

Ein Klima des Mißvergnügens hat sich in großen Teilen der Kirche ausgebreitet. Bittere Vorwürfe werden gegen die Administration der Kirche gerichtet, besonders gegen die Ernennungspolitik; das Kirchenvolk wird ständig dazu ermahnt, sich zu engagieren und seine Verantwortung wahrzunehmen, aber wenn es um Ernennungen geht, welche entscheidende Bedeutung für das kirchliches Leben haben, so wird auf den Willen des Kirchenvolkes keine Rücksicht genommen; es wird wie unmündige Kinder behandelt.

Allzu oft wurden Bischöfe mit dem offenbaren Ziel ernannt, eine Einstellung in der einen oder anderen Kirchenprovinz zu brechen und eine Entwicklung zu stoppen, welche der römischen Kurie nicht behagte. Das Ergebnis war verheerend, unter anderem in Lateinamerika; in Europa bräuchte man nur die Schweiz und Österreich zu erwähnen. Die Verantwortung dafür liegt beim Papst, ob er nun die Beschlüsse persönlich faßt oder durch seine Abwesenheit anderen Instanzen freie Zügel beläßt.

Johannes Paul II beruft sich ständig auf das Zweite Vatikankonzil; es gehe darum, seine Richtlinien zu verwirklichen, sich von dem starken Geist der Erneuerung und Einheit, welcher das Konzil prägte, inspirieren zu lassen. Um so krasser erscheint der Unterschied zwischen der wichtigsten Lehre des Konzils, der von der Kollegialität (der aktiven Teilnahme der Bischöfe an der Leitung der Weltkirche "mit und unter dem römischen Bischof") und der derzeitigen extrem zentralisierten Leitung.

Die Kurie siegte

Man hatte gehofft, daß die nach dem Konzil eingerichtete Bischofsynode eine Art Parlament werden sollte, die dem Papst als eine Art Regierung, als Mitarbeiterstab für eine bestimmte Zeit gewählt und ernannt, dienen sollte. Dann wäre die römische Kurie das geworden, was sie sein sollte: ein bloßes Exekutivorgan. Aber so wurde es nicht. Die Kurie errang, wie immer, den Sieg; sie hatte während des ganzen Konzils mit Zähnen und Klauen gegen die Kollegialität gekämpft, und sobald sich die Konzilsversammlung zerstreute, übernahm sie wieder die Zügel. Weder Paul VI. noch Johannes Paul II. gelang es, diese in die eigenen Hände zu bekommen und zu behalten.

Stimmen für ein neues Konzil

Stimmen wurden laut, auch unter Bischöfen, daß man so schnell wie möglich ein neues Konzil einberufen sollte. Die Lage sei kritisch, es gäre an vielen Stellen. Die Beschlüsse des Vatikankonzils müßten durchgeführt werden, aber auch neue Veränderungen seien notwendig. Johannes Paul selbst hat erkannt, daß die Amtsausübung des Papstes verändert werden muß: er hat sogar andere Kirchenführer und Theologen gebeten, ihm zu helfen, neue Formen dafür zu finden. In dieser kirchenhistorisch einzigartigen Botschaft (Enzyklika Ut unum sint) stellt der Papst die Patriarchatsstruktur der frühen Kirche als verpflichtendes Vorbild hin. - Es wurde auch mehr und mehr offenbar, daß das römische Patriarchat in Zukunft Platz für mehrere mehr oder minder selbständige Kirchen in den verschiedenen Erdteilen haben müßte, natürlich unter dem Primat Roms, aber mit eigenem Kirchenrecht und eigenen Befugnissen.

Gott gebe, das dies verwirklicht werde. So wie jetzt kann es nicht weitergehen.

Gunnel Vallquist

Prof. Gunnel Vallquist, geb. 1918, seit 1939 katholisch, war schwedische Korrespondentin während des 2. Vatikanischen Konzil, über das sie 4 Bücher verfaßt hat. Sie ist trotz ihres hohen Alters weiterhin aktives Mitglied der Schwedischen Akademie und als solches an der Vergabe der Literaturnobelpreise mitbeteiligt.