Gunnel Vallquist: Ein bemerkenswertes päpstliches Schreiben ______________________________________________________________________

Vor einigen Jahren kam der Ausdruck "Ökumenischer Winter" in Umlauf - ein Winter, den hervorgerufen zu haben die katholische Kirche nicht ohne Schuld sein dürfte; aber nach der neuen Enzyklika Ut unum sint von Johannes Paul II sieht es aus, wieder Frühling zu werden, schrieb St. Olav als Leitartikel im vergangenen Juni.

In diesem Artikel faßt unsere ständige Mitarbeiterin Gunnel Vallquist die demütige und hoffnungsvolle ökumenische Initiative näher ins Auge, welche dieses bemerkenswerte päpstliche Schreiben beinhaltet: "eine einzigartige Initiative in der Geschichte der katholischen Kirche".

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Das letzte Rundschreiben von Papst Johannes Paul, Ut unum sint, ist - soweit ich verstehe - ein Dokument von kirchenhistorischer Bedeutung. Es handelt von der Ökumenik, und der Titel ist einem oft zitierten Wort des Johannes-Evangeliums entnommen: "Daß alle eins sein mögen, wie du in mir bist und ich in dir, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast". Das Rundschreiben ist ein Büchlein von kaum 110 kleinen Seiten, auf denen der Papst - mit der bevorstehenden Jahrtausendwende vor Augen - seine ganze Kirche zu erneuter Treue zum 2. Vatikanischen Konzil und zum Streben nach der Einheit aufruft, um die Christus gebetet hatte.

Ganz von Anfang an hebt Papst Johannes Paul dies als das Leitmotiv der Enzyklika hervor: die Ökumenik, der Wille zur Einheit, sei vor allem eine Frage der Umkehr des Herzens, der demütigen Erkenntnis von begangenem Unrecht und der aufrichtigen Versöhnung. Die theologische Analyse sei wichtig, aber vor allem gelte es, "unser historisches Gedächtnis zu reinigen, mit der Vergangenheit ehrlich abzurechnen und gutzumachen, was verbrochen wurde". Als Bischof von Rom hat der Papst eine besondere Verantwortung für die Einheit, und als Petri Nachfolger betet er "von ganzem Herzen mit Christus um die Bekehrung, die Petrus erleben sollte, damit er seinen Brüdern dienen könne". Und er bittet um die Fürbitten aller für diese Bekehrung.

Hierarchie von Wahrheiten

Nach diesem starken Auftakt folgt eine Erklärung der Grundsätze und Richtlinien, welche das 2. Vatikanische Konzil für die ökumenische Arbeit vorgab. Es kann nie davon die Rede sein, daß man mit der Wahrheit Kompromisse schließt - sie verpflichtet absolut. Aber es "gibt eine hierarchische Ordnung unter den Wahrheiten der katholischen Lehre": nicht alles hat den gleichen Rang. Die Wahrheit kann außerdem auf viele Weisen ausgedrückt werden, und manchmal muß sie umformuliert werden, damit sie von einer neuen Zeit verstanden wird. "Der katholische Glaube darf nicht auf eine Weise dargestellt werden, daß die Sprache und die Methode ein Hindernis für den Dialog mit den christlichen Brüdern werden. - Man muß immer auf die Denkweise und die konkreten historischen Erfahrungen der anderen Rücksicht nehmen". In dieser Hinsicht wurde früher viel gesündigt: "Was in Wirklichkeit ein Ergebnis zweier verschiedener Weisen war, die selbe Wirklichkeit zu sehen, wurde durch Polemik und intolerante Kontroversen zu unvereinbaren Standpunkten."

Anstelle von Konfrontation ist die Kirche nun zum Dialog übergegangen, aber dieser darf nicht nur von intellektueller Art sein: "Der Dialog soll auch als Gewissenserforschung fungieren", soll "ein Dialog zwischen den Gewissen werden" - eine Formulierung, die es wohl wert ist, überlegt zu werden. Der Papst betont auch die Wichtigkeit der praktischen Zusammenarbeit, nicht nur auf sozialer und kultureller Ebene, sondern auch auf pastoralem Gebiet und im gemeinsamen Zeugnis der Botschaft des Evangeliums.

Die Reise nach Skandinavien wird mehrmals erwähnt

Der zentrale und längste Teil des Rundschreibens ist eine Übersicht über die Fortschritte, die auf dem Weg zur Einheit während und nach dem 2. Vatikanischen Konzil gemacht wurden: die Veränderung im ganzen ökumenischen Klima, die inzwischen zur einer Institution gewordenen bilateralen theologischen Gespräche, die persönlichen Kontakte des Papstes selbst mit anderen Kirchenführern. Er bezeichnet sich selbst als "Pilger", und es ist deutlich, daß die Reise nach Skandinavien zu denen gehört, welche den stärksten Eindruck hinterlassen haben. Er erwähnt sie mehrere Male. Tief bewegt, so schreibt er, segnete er während der Messen in Schweden und Finnland die lutherischen Bischöfe, als sie zur Kommunion nach vorne kamen und "mit einer vorher vereinbarten Geste ihre Sehnsucht nach dem Augenblick bezeugten, in dem wir - Katholiken und Lutheraner - beim Abendmahl vereint sein könnten".

Er betont auch, daß die ökumenische Bewegung ihren Ursprung in der protestantischen Christenheit hatte. Im übrigen ist es vor allem die Ostkirche, mit der er sich in diesem Abschnitt beschäftigt; diese liegt, ganz natürlich, dem slawischen Papst am meisten am Herzen. Katholiken und Orthodoxe haben ja im großen und ganzen den selben Glauben und eine gemeinsame tausendjährige Tradition, aber sie sind getrennt durch bittere Erinnerungen und einen entwürdigenden Machtkampf.. Wenn auch die Entfernung zwischen ihnen kurz ist, so ist doch der Weg umso steiler.

Die Rolle des Papstamtes

Die Enzyklika gelangt im dritten und letzten Kapitel zu ihrem Höhepunkt. Es hat den Titel: "Quanta est nobis via?", was man wohl mit "wie weit ist es noch?" übersetzen kann. Hier betont der Papst in der Einleitung, daß die katholische Kirche - auf dem Wege der Ökumenik - keine Forderungen stellen darf, die nicht absolut notwendig sind. Darauf erwähnt er fünf Themen, die weitere Vertiefung benötigen, bevor man zu einer vollständigen Einheit im Glauben gelangen kann: Schrift, Tradition, Eucharistie (Messe und Abendmahl), Priesterweihe (dies betrifft Bischof, Priester und Diakon), Lehramt und Jungfrauenschaft Mariens.

Es genügt nicht, daß die Theologen sich zu einem Konsens durcharbeiten: das ganze Volk Gottes muß teilnehmen, "von den Bischöfen bis zu den Laien, da alle den Heiligen Geist empfangen haben". Und der Papst betont nochmals die grundlegende Regel, daß man am Glauben der Kirche nicht rütteln darf, daß man aber die Formulierungen des Glaubens diskutieren und ändern kann.

Zum Schluß - und hier liegt der Schwerpunkt des Dokumentes - behandelt Johannes Paul die Stellung und Rolle des Papstes. Im Einklang mit der Tradition weist er auf Petrus hin, dem Jesus seine Kirche anvertraute und dem er die Aufgabe stellte, "seine Brüder zu stärken". Petrus erhielt die Verantwortung für die Einheit und die Festigkeit im Glauben. Weil er ein so schwacher Mensch war, der seinen Herrn verließ und verleugnete, ist es klar, daß er diese Aufgabe nicht auf Grund seiner eigenen Verdienste erhielt, sondern aus reiner Gnade. "Der dreifachen Verleugnung des Petrus entspricht sein dreifacher Beweis seiner Liebe. Dies ist es, worauf seine Nachfolger sich stützen, in der Gewißheit, daß seine Aufgabe ein Zeichen von Liebe und Barmherzigkeit ist, denn sein Amt hat seine Wurzel in der Barmherzigkeit Christi." - "Der Bischof von Rom hat die Aufgabe, die Gemeinschaft zwischen allen Kirchen sicherzustellen. Er ist der Einheit erster Diener." Dieser Aufgabe kann der Papst sich nicht entwinden, aber es ist ihm traurig bewußt, daß gerade seine eigene Amtsausübung der Stein des Anstoßes in der Ökumenik ist.

Persönlicher Ton

Hier schlägt Johannes Paul einen sehr persönlichen Ton an, überraschend in einem Dokument wie diesem: "Ich weiß, daß aus verschiedenen Gründen und gegen den Willen aller Seiten das, was eine dienende Aufgabe sein sollte, in einem völlig anderen Lichte gesehen wird. Wenn ich mich aber dazu berufen sehe, das Amt des Bischofs von Rom auszuüben, geschieht dies mit dem Wunsch, wirklich dem Willen Christi gehorsam zu sein. Ich bitte den Heiligen Geist, die Leiter und Theologen unserer Kirchen so zu erleuchten, daß wir gemeinsam zu den Formen finden können, welche dieses Amt haben muß, um einen Dienst der Liebe zu erfüllen, den alle anerkennen können. - Das ist eine enorme Aufgabe, der wir uns nicht versagen dürfen und die ich nicht allein erfüllen kann. Könnte nicht die Gemeinschaft, die zwischen uns schon besteht, so unvollkommen sie auch ist, eine Gelegenheit für alle kirchlichen Verantwortlichen und ihre Theologen sein, einen brüderlichen, geduldigen Dialog zu beginnen; einen Dialog, wo wir, jenseits aller unfruchtbaren Polemik, wirklich aufeinander hören und einzig und allein den Willen Christi für seine Kirche vor Augen haben, und uns von Jesu eigenem Gebetsruf durchdringen lassen: 'damit alle eins seien'."

Ökumenische Bekehrung

Diese Sprache steht in so scharfem Kontrast zu dem ständig autoritärerem Tonfall in einer Reihe von päpstlichen Schreiben aus letzter Zeit, daß man der Enzyklika Ut unum sint eine ganz außerordentliche Bedeutung zuschreiben muß. Der Leser erhält den starken Eindruck, daß Johannes Paul die ökumenische Bekehrung erlebt hat, die er so stark betont. Bei seinen Besuchen bei anderen Christen hat er mehrmals um Verzeihung für die Sünden der Kirche gebeten, und auf dem Programm der 2000-Jahr-Feier steht ein feierliches und konkretes Sündenbekenntnis mit der Bitte um Versöhnung.

Wenn der Papst in dieser Enzyklika ausdrücklich Nichtkatholiken um Hilfe bittet, die rechte Form für seine eigene Amtsausübung zu finden, so unternimmt er ganz offiziell eine völlig einzigartige Initiative in der Geschichte der katholischen Kirche. Dies ist eine besonders demütige Handlung, die in höchstem Grad verdient, ernst genommen zu werden. Nun liegt der Ball bei den anderen Kirchengemeinschaften.

Wenn die Verhandlungen, die der Papst wünscht, zustande kommen, so ist es unvermeidbar, daß man besonders gegenüber die Ostkirchen, aber auch gegenüber den Protestanten auf eine Rückkehr zu jener Ordnung hinarbeitet, die in der Zeit der ungeteilten Kirche bestand, eine Ordnung, die der Papst selbst in diesem Dokument als Modell vorstellt: Die Christenheit war in dieser Zeit in selbständige Patriarchate eingeteilt, in denen das römische das erste unter ebenbürtigen war. Der Bischof von Rom hatte in seiner Eigenschaft als Nachfolger Petri die von allen akzeptierte Aufgabe, "in Liebe vorzustehen", über die Einheit zu wachen, sich aber nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Patriarchate einzumischen, es sei denn er müsse als Schiedsrichter eingreifen.

Reform des 'Patriarchates von Rom'

Wenn es der Papst für richtig findet, um der Einheit willen der Forderung nach einer so umfassenden Reform der gegenwärtigen Kirchenordnung zu entsprechen, dann wird dies unumgänglich eine ebensolche Reform des 'Patriarchates Rom' selbst erzwingen, das mit der Zeit übermäßig große Teile der Welt umfaßt hat. Innerhalb der katholischen Kirche werden ständig Klagen gegen die römische Zentralisierung laut, die sich unter diesem Pontifikat in einem Maße entwickelt hat, das den Anweisungen den 2. Vatikanischen Konzils geradezu widerspricht. Man sollte aus der Geschichte lernen, die Zeichen der Zeit zu deuten. Wenn keine Reform zustande kommt, kann man im Jahre 2000 eine kirchliche Katastrophe von möglicherweise ebenso großem Umfang wie die Schismen um die Jahre 1000 und 1500 befürchten. In Rom und anderswo gibt es Kräfte, die sich mit Klauen und Zähnen jeder Veränderung widersetzen, welche den Zentralismus und den römischen Machtapparat einschränken könnte. Deren Reaktion auf die Enzyklika des Papstes kann man sich vorstellen, und der Papst muß dies vorausgesehen haben. Damit hat er sich von diesen Kräften deutlich distanziert.

Frau Prof. Gunnel Vallquist, Mitglied der Schwedischen Akademie, ist ständige Mitarbeiterin der Zeitschrift "St. Olav", einer norwegischen katholischen Zeitschrift für Religion und Kultur. Der vorliegende Beitrag erschien in norwegischer Sprache in der Nr. 1/1996 dieser Zeitschrift. Übersetzung: Friedrich Griess