Gunnel Vallquist: Die Einheit kommt - trotz allem

Vor einiger Zeit schrieb ich über die Gebetswoche für die christliche Einheit - daß ich mich darüber schämte, daß unsere Kirchen Jahrzehnt für Jahrzehnt diese Gebetswoche ankündigen, statt dafür zu sorgen, daß diese Einheit durch Bekenntnis der Sünden und Versöhnung am Altar zustandekommt. Wenn die katholische Kirche den ersten Schritt vollzöge; wenn sie die gegen die Einheit begangenen Sünden einsähe und alle, die den apostolischen Glauben bekennen, einlüde, an ihrem Abendmahl teilzunehmen - welche Ermutigung ! Das Wirken des Geistes kann man nicht berechnen, aber ich bin der Überzeugung, daß andere Gemeinschaften ihrem Beispiel folgen würden. Es geht darum, den Glauben zu wagen und danach, ohne Berechnung, zu handeln. Es geht darum, zuzulassen, daß Christi Gebet um die Einheit in Erfüllung gehe, soweit es auf uns ankommt. Wir sollten dabei nicht länger ein Hindernis für die Neugeburt der Kirche Christi sein. Der Heilige Geist sollte in einer Christenheit frei wirken können, die von den Banden befreit ist, in die sie sich selbst verstrickt hat. Wir sollten die herrliche Freiheit der Kinder Gottes wiederentdecken - ohne auf die Reichtümer zu vergessen, welche uns unsere Tradition gebracht hat, oder uns ihrer berauben zu lassen. Was wir verlieren sollten, ist unser Recht auf Vorurteile. Welche Befreiung !

Dies betrifft die Perspektive von oben, das derzeitige Verhalten der kirchlichen Leitung zur Einheit und zu Christi Gebet. Aber es gibt noch eine andere Perspektive, die Perspektive von unten, und da erfüllt mich seit langem Hoffnung und Freude. Wenn ich an die ganze Zeit zurück-denke - über ein halbes Jahrhundert - , in der ich Katholik war, stelle ich eine unglaubliche Veränderung, ja eine Verwandlung des gesamten ökumenischen Klimas fest. Zu Beginn der ökumenischen Bewegung gab es unter den Pionieren auch Katholiken. Diesen wurde jedoch bald die Teilnahme verboten, und die Weltökumene blieb Angelegenheit der Protestanten und, in gewissem Maß, der Orthodoxen. Katholische theologische Arbeiten mit ökumenischer Ausrichtung wurden eingezogen oder auf den Index gesetzt. Katholiken war es streng verboten, an nichtkatholischen Gottesdiensten teilzunehmen. Rom verkündigte unaufhörlich seine These, die Einheit könne nur durch bedingungslose Kapitulation der anderen Kirchen erreicht werden. Diese müßten umkehren; von einer Umkehr Roms war nicht die Rede. Eine kleine Auflockerung geschah, als Pius XII zugestand, man dürfe das Vater Unser gemeinsam beten. Dies war im großen und ganzen die offizielle katholische Einstellung bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil.

In und mit dem Konzil erfolgte eine radikale Änderung: zuvor zum Schweigen gebrachte Theologen wurden als Experten zur Kirchenversammlung berufen; die "im Glauben getrennten Brüder", früher brutal als "Schismatiker und Häretiker" bezeichnet, wurden als Beobachter und Ehrengäste eingeladen, auf die das Konzil hörte und von denen es sich oft inspirieren ließ. Hier hatte sich die Leitung der katholischen Kirche plötzlich an die Spitze der Einheitsbewegung gestellt. Das brüderliche Verhältnis setzte sich nach dem Konzil fort, mit herzlichen Höflich-keitsbesuchen und theologischen Gesprächen. Diese Umgangsformen wurden bald zwischen-kirchliche Sitte; dadurch wurden sie nach und nach institutionalisiert, und wie alle Institutionen neigt diese offizielle Ökumenik zu dem, was in politischem Zusammenhang Stagnation und Unbeweglichkeit genannt wird...

Aber an der Basis ist alles in Bewegung ! Die Klimaveränderung an der Spitze pflanzte sich bald nach unten fort, - wo sie übrigens, aber bei weitem nicht überall, in der Stille vorbe-reitet worden war -, und auf diesem Niveau geschieht die Verwandlung. Junge Christen wurden es gewohnt, in sozialem Wirken, in Studium und Forschung, in freundschaftlichen Beziehungen und geistlicher Einkehr gemeinsam tätig zu sein; man feiert Gottesdienst, oft in anderen Formen, und niemand fragt sich, ob etwa jemand draußenbleiben müßte.

Diese spontane Gemeinschaft ereignet sich als etwas Natürliches, eine Selbstver-ständlichkeit - nicht als eine Protesthandlung, eine "prophetische Geste", wie in manchen Gruppen der Sechzigerjahre. Sie ereignet sich in einem zunehmenden Bewußtsein davon, daß dies, was in der heutigen dramatisch säkularisierten Welt die Christen vereint, etwas so Radikales und Durchgreifendes ist: der Glaube an die Gegenwart des auferstandenen Erlösers mitten unter denen, die sich in seinem Namen versammeln - daß die Grenzen, die es noch gibt, völlig bedeutungslos werden. Die Barrikaden, zu deren Errichtung sich unsere Vorväter zwecks Verteidigung und Angriff verpflichtet fühlten, sind niedergebrochen; sie sind wie Stufen auf einem Waldweg, die uns nicht mehr daran hindern, einander zu begegnen.

Die Aufgabe der Christen in der heutigen Welt ist es, Zeugen der Einheit zu sein, die demütig erkennen, daß unser Wissen begrenzt ist und unsere Prophetengabe ebenso, daß wir mit unseren Verschiedenheiten leben können und müssen, und mit Fragen, die niemals vollständig gelöst sein werden, bevor wir Gott und einander von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Bis dahin haben wir nicht das Recht und die Zeit, unsere Verschiedenheiten hochzuhalten. Die Welt bedarf unserer Einheit. Diese Einsicht wird in dem, was von der Christenheit noch übrig ist, immer stärker.

Frau Prof. Gunnel Vallquist, Mitglied der Schwedischen Akademie, ist ständige Mitarbeiterin der Zeitschrift "St. Olav", einer norwegischen katholischen Zeitschrift für Religion und Kultur. Der vorliegende Beitrag erschien in schwedischer Sprache in der Nr. 7/1994 dieser Zeitschrift. Übersetzung: Friedrich Griess.