Gunnel Vallquist: Die Methoden der Römischen Kurie
Das letzte Vatikanische Konzil (1962-65) stellte für die Römische Kurie eine Revolution dar, schreibt Gunnel Vallquist, Professor und Mitglied der Schwedischen Akademie, in diesem Beitrag. Die Macht der Kurie wurde dadurch gebrochen, daß sich die Bischöfe organisierten. Vieles deutet nun darauf hin, daß die Kurie von neuem danach strebt, ihre Position zu stärken. Nicht zuletzt kann man die Ernennungs-politik des päpstlichen Stuhles als zielbewußte Bemühung ansehen, die Mitbestimmung der Bischöfe und damit das Recht der Ortskirchen auf selbständige Entwicklung innerhalb der kirchlichen Einheit zu reduzieren.
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Alte und wirksame Institution
"Riconosco la maniera della Romana Curia" soll der venezianische Historiker und Bettelmönch Paolo Sarpi gesagt haben, als er auf einer Brücke in seiner Heimatstadt einen Dolchstoß in den Rücken erhielt.
Die Methoden der Römischen Kurie sind stets leicht wiederzuerkennen. Zwar haben sie sich verändert: Meuchelmord, Tortur und physische Gewalt sind längst nicht mehr in Übung, aber geistige und psycho-logische Quälereien, Intrigen und unethischer Druck sind keine Seltenheit und folgen einem typischen Muster.
Die Römische Kurie ist die älteste Institution der Welt und eine derer, die am wirkungsvollsten fungieren. Sie erhält ein System aufrecht, das - erprobt durch Jahrhunderte - Festigkeit und Flexibilität vereinigt. Ihre Mitglieder sind meist intelligent, kultiviert und sympathisch; sie bilden eine perfekte und geölte Maschinerie. Sie sind von den besten Absichten beseelt. Hier in Rom ist man, heute wie vor zweitausend Jahren, überzeugt, daß die römische Leitung dem Gesamten nützlich ist. Man weiß, daß man einzigartige Informationen und Erfahrungen und ebensolchen Überblick hat; man ist Träger einer
imponierenden Kulturtradition und eines nie versagenden Stils. Dies bringt nicht nur Selbstbewußtsein, sondern vor allem Verantwortungsbewußtsein mit sich. Die Verantwortung für die Gesamtheit und für die Bewahrung der katholischen Identität diktiert die zentralistische Politik der Kurie. Rom weiß, was überall für die Kirche am besten ist, und deshalb beansprucht Rom Gehorsam.
Das 2. Vatikanische Konzil - eine Revolution
Für die Kurie bedeutete das 2. Vatikanische Konzil eine Revolution: ihre Macht wurde dadurch ge-brochen, daß sich die Bischöfe organisierten, zuerst auf der Kirchenversammlung selbst und später bei den örtlichen Bischofskonferenzen. Dadurch wurde die Isolation, in der der einzelne Bischof bisher lebte, durchbrochen, und die Regierungsmethode der Kurie, divide et impera, teile und herrsche, konnte nicht mehr wirksam sein. Wer wie ich die Entwicklung im Laufe der vier Konzilsjahre an Ort und Stelle verfolgte, konnte klar sehen, daß die Niederlage der Kurie im Kampfe um die Erneuerung der Kirche nicht bedeutete, daß die römische Bürokratie aufgab. Sie wartete auf ihre Stunde und verbarg ihre Überzeugung nicht, daß sie auf lange Sicht das Spiel gewinnen würde. "Pensiamo in secoli" sagten die Männer der Kurie mit einer Mischung von Resignation und hoffnungsvoller Überzeugung.
"Die Päpste kommen und gehen, die Kurie besteht weiter", war ein Wort, das man in diesen Tagen in Rom oft hörte.
Wird die alte Ordnung wiedererrichtet ?
Viele Zeichen deuten darauf hin, daß diese frühere Ordnung dabei ist, wiedererrichtet zu werden. Die Ernennungpolitik des päpstlichen Stuhles kann man als zielbewußte Bemühung ansehen, die Mitbe-stimmung der Bischöfe und damit das Recht der Ortskirchen auf selbständige Entwicklung innerhalb der gegebenen kirchlichen Einheit zu reduzieren. Bischöfe in strategischen Positionen, die beim Konzil mitgewirkt oder von seinem Geiste geprägt wurden, werden nach Erreichung des Pensionsalters durch reaktionäre Prälaten ersetzt. Die Ernennung geschieht hinweg über die Köpfe nicht nur des Kirchenvolkes, sondern auch der Bischofskonferenzen und der Priesterräte, oft in striktem Gegensatz zu deren ausgesprochener Meinung und trotz demonstrativen Proteste. Beispiele aus allen Teilen der Welt sind Legion.
Dies ist die Praxis. Als die Bischofsynode 1985 einberufen wurde, um für die 25 Jahre nach dem Konzil Rechenschaft zu geben, versuchte die reaktionäre Phalanx, eine Prinzipiengrundlage für diese Praxis zu finden: man verlangte eine Erklärung über die "theologische Grundlage der Bischofskonferenzen". Darauf ging der Papst ein, und niemand scheint die Angelegenheit als Wunsch aufgefaßt zu haben, die genannte Institution zu konsolidieren...Die Absicht der Ersteller des Vorschlages war, theologische Argumente zur Unterminierung einer Institution zu suchen, die in erster Linie aus praktischen Gründen entstanden war. Die Absicht war umso leichter zu erkennen, als das 2. Vatikanische Konzil ausdrücklich erklärt hatte, daß es sich als pastorales und nicht als dogmatisches Konzil betrachte. Dies kann später wiederum mit derselben Art theologischer Argumente bekämpft werden, welche das Konzil seinerzeit mit großer Mehrheit zurückwies, jedoch niemals "verurteilte".
Römischer Zentralismus gegen lokale Selbstbestimmung
Man kann das Ganze als fortgesetzten Kampf zwischen dem römischen Zentralismus und der Ent-wicklung der Ortskirchen sehen - sozial, kulturell und theologisch. Den Zentralismus hat der päpstliche Stuhl vom römischen Reich übernommen, ebenso die dazugehörige Problematik. Es ist immer unklar, wer in Wirklichkeit hinter den verschiedenen Beschlüssen, Geboten und Verboten steht.
Die römische Kurie mit dem zugehörigen "Apparat" umkleidet sich mit der päpstlichen Autorität. Dekrete und Verordnungen unterschiedlicher Wichtigkeit bekommen einen Anstrich der päpstlichen Unfehlbarkeit, deren dogmatischer Kern zum Alltagsgebrauch in verdünnter, erweiterter und unhand-greiflicher Form angewendet wird. Als letzte Instanz ist der Papst selbstverständlich verantwortlich, denn er ist absolut - aber einen großen Teil seiner Macht muß er ja ständig delegieren. Der jetzige Papst widmet so viel seiner Zeit, seiner Aufmerksamkeit und seiner Kräfte den weltumspannenden Reisen - Reisen, die ohne Zweifel einen wirklich apostolischen Wert haben -, daß die laufenden Geschäfte in großem Maß von der Kurie wahrgenommen werden. Es ist bekannt, daß sich Johannes Paul II. mit handverlesenen Beratern umgibt, oft polnischer Herkunft, und daß es nicht leicht ist, durch die Mauern zu dringen. Er hat auch eine markante Vorliebe für sehr konservative kirchliche Bewegungen wie Opus Dei und Communione et Liberatione, die inzwischen zu Machtstrukturen im Schatten der päpstlichen Flügel geworden sind.
Die Fälle Küng, Häring und Boff
Die sogenannte Glaubenskongregation hat unter Kardinal Ratzinger die zentrale Stellung wieder ein-genommen, welche sie vor dem Konzil unter den Kardinälen Pizzardo und Ottaviani gehabt hatte. Der Ton ist anders und zivilisierter, aber es findet sich Initiative: man zögert nicht, bedeutende Theologen wie Küng, Häring und Boff anzugreifen und unschädlich zu machen. Die Mittel sind milder, man greift nicht mehr zum Bann - Veröffentlichungsverbot und Ausschluß von Lehrstühlen und Lehrtätigkeit sind das Normale.
Mit Küng ist man eigentlich nicht gerade weitergekommen: er war unter anderem frech genug, sich nicht in Rom einzufinden; er sagte, er hätte eine andere Verwendung für seine Zeit, und als er seiner katholischen Professur in Tübingen enthoben wurde, erhielt er unmittelbar darauf einen staatlichen Lehrstuhl für das gleiche Fachgebiet an derselben Universität.
Häring gehört einem älteren Jahrgang an: er war überall als der Theologe angesehen, der mehr als jeder andere die Morallehre der katholischen Kirche erneuert hatte. Sein Werk "Das Gesetz Christi" wurde zum Lehrbuch an allen Priesterseminaren, und er war während des Konzils ein geachteter Experte. Die Konflikte begannen mit dem Rundschreiben Pauls VI., Humanae vitae, in dem der Papst der Kommission widersprach, die er selbst ernannt hatte, und die "künstliche" Prävention verurteilte. Häring schloß sich den Bischofskonferenzen an, welche das eigene (gebildete) Gewissen des einzelnen Christen als entscheidende Instanz in Moralfragen betonte. Die Glaubenskongregation begann so seine regelrechte Verfolgung, welche dazu führte, daß dieser gütige und respektvolle Mann in seinem Innersten so erschüttert war, daß er sagte, er ziehe Hitlers Gerichte den römischen vor. Aber "Gottseidank", sagt Häring, "habe ich niemals die Kirche mit der Glaubenskongregation verwechselt - denn da hätte ich keinen Augenblick in ihr verbleiben können !"
Häring beschloß schließlich, alle seine Abrechnungen mit den römischen Behörden zu veröffentlichen: Er ließ sich von einem berühmten italienischen Journalisten interviewen und publizierte das Ganze in dem Buch "Fede storia morale /Intervista di Gianni Licheri", Editione Borla, 1989 (Anm.d.Übers: deutsche Ausgabe: "Meine Erfahrung mit der Kirche", Herder, 1989). Dieses Buch ist eine großartige Schau von intellektuellem Scharfsinn und moralischer Integrität und ein aufbauendes Glaubensdokument; es wirft ein verurteilendes Licht über "la maniera della Romana Curia" und nicht zuletzt auf die theologische Inkompetenz (dies ist Härings eigener Ausdruck), die sich in der Glaubenskongregation repräsentiert findet.
Ratzinger und das römische Naturgesetz
Kardinal Ratzinger selbst ist von dieser letzten Aussage nicht betroffen; er ist ein besonders kompetenter Theologe, der während des Konzils eine progressive Offenheit vertrat, der sich aber seitdem in Richtung einer immer engeren Perspektive rückwärts bewegt hat. Insoferne repräsentiert er das schon oft beobachtete "Naturgesetz", das alle, die eine bestimmte Zeit in Rom gelebt haben, in "Römer" verwandelt. Ratzinger stellt heute den auffallendsten Repräsentanten des römischen Zentralismus dar.
Er hat einen dauernden Kampf gegen die einzige theologische Richtung von Bedeutung geführt, die in den letzten Jahrzehnten innerhalb der katholischen Kirche entstanden ist: die lateinamerikanische Befreiungstheologie. Einer der wichtigsten Repräsentanten, der Franziskaner Leonardo Boff - vor einigen Monaten zum Ehrendoktor der Universität Lund ernannt - wurde buchstäblich von Ratzinger "hinaus-geekelt" und durch ständige Quälereien müde gemacht, er hat vor kurzem seine Stellung aufgegeben und ist aus dem Franziskanerorden ausgetreten - nicht aus der Kirche. Nur als Laie, meint er, könne er die Ruhe zur Arbeit finden, die er benötige, um das weiterzuführen, was er für eine lebenswichtige Arbeit für die Kirche und die Menschen in Lateinamerika hält.
Ich traf Leonardo Boff in Lund, wo er mir mit Trauer berichtete, daß Ratzinger und er früher nahe Freunde gewesen seien, daß er aber, als er bat, Ratzinger in Rom persönlich zu treffen, die Antwort bekam, die Meinung des Kardinals sei in den Dokumenten zu lesen, welche die Glaubenskongregation veröffentlicht hatte, und er habe seinem früheren Kollegen nichts mehr zu sagen. "La maniera della Romana Curia".
Ökumenische Einengung
Eine von Ratzingers letzten Unternehmungen ist ein Brief an die Bischöfe über die Ökumenik. Trotz reichlichen Gebrauchs von Zitaten aus den Konzilsdokumenten spiegelt er eine vorkonziliare und fast vor-ökumenische Haltung wider. Das Ganze handelt vom Primat des Papstes: keine kirchliche Einheit ohne dessen Anerkennung. Das Wort des Evangeliums von "einen Hirten und einer Herde" wird ohne Weiteres von Christus auf den Papst übertragen. Alle Christen sollten "in einer neuen Bekehrung zum Herrn imstande sein, die Fortsetzung des Primates Petri in seinem Nachfolger anzuerkennen".
Aber so wie Ratzingers Brief auf eine Einengung der Ökumenik abzielt, bedeutet er gleichzeitig auch einen strategischen Zug im Kampf gegen das Mitbestimmungsrecht der Ortskirchen. Hier reichen die Konzilsdokumente als Quelle für Zitate nicht aus: der Kardinal weist auf einige Reden von Papst Johannes Paul II. hin, wo die Autorität des Papstes bezeichnet wird als "nicht nur ein globaler Dienst, der jede einzelne Kirche 'von außen her' berührt, sondern etwas, was schon dem Wesen jeder einzelnen Kirche 'von innen her' angehört". Unter anderem ist es leicht zu erraten, wer die Reden des Papstes schreibt.
Loyale Opposition
Wenn man all dem gegenübersteht, kann man allzuleicht darüber traurig sein, aber man sollte sich nicht erschrecken lassen. Man kann die katholische Christenheit nicht zu der Form des Gehorsams zurück-führen, die zwischen dem 1. und dem 2. Vatikanischen Konzil herrschte. Das Kirchenvolk hat sich ebenso wie die Priesterschaft auf entscheidende Weise verändert: man hat gelernt, zwischen dem Absoluten und dem Relativen in der Kirche zu unterscheiden, und man hat eine historische Perspektive erhalten, welche das Bewußtsein einschließt, daß Kirche und die Ansichten über die Kirche sich im Laufe der Zeit verändern. Es gibt päpstliche Dekrete, die nie in Kraft getreten sind, weil sie der Wirklichkeit nicht entsprachen. Das gilt in noch höherem Grad für die Belange untergeordneter Autoritäten.
Loyale Opposition war stets in der heiligen Kirche eine adequate Verhaltensform.
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Frau Prof. Gunnel Vallquist ist ständige Mitarbeiterin der Zeitschrift "St. Olav"einer norwegischen katholischen Zeitschrift für Religion und Kultur. Der vorliegende Beitrag erschien in der Nr. 11/1992 dieser Zeitschrift als Übersetzung aus dem "Svenska Dagblad". Die deutsche Übersetzung besorgte Friedrich Griess.