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Kleidersammlung / Amdi's Sekte

von Joop Bouma
2003-03-05

Sie nennen sich selbst die revolutionäre Avantgarde Westeuropas, die Mitglieder der dänischen Tvind-Sekte. Das sind 'Wir - die Weltverbesserer' gegen 'Sie - die bürgerlichen Machthaber'. Die schattenhafte Gruppe hat enge Verbindungen zur Kleidersammlerin Humana, die auch in 120 niederländischen Gemeinden aktiv ist. Heute steht Tvind in Dänemark vor dem Richter. "Eine völlig geschlossene Organisation" sagt ein niederländisches Ex-Mitglied im ersten Teil eines zweiteiligen Beitrags über die Sekte.

Patricia Brunklaus wolle 'etwas' tun in der Dritten Welt. "Nicht etwas Unverbindliches, sondern wirkliche Projekte errichten, Menschen helfen". Als 22-Jährige schloß sie sich Tvind an, einer dänischen Gruppe von Idealisten. "Sie machten ganz gute Dinge", findet sie immer noch. Erst nach ihrem Rückzug wurde ihr bewußt, daß sie Mitglied einer Sekte gewesen war.

Sie wurde 1979 Mitglied von etwas, das sich Tvinds 'Lehrergruppe' nannte, eine exklusive Gesellschaft von Gleichgesinnten unter der Leitung von Mogens Amdi Petersen. Dieser charismatische Däne, der radikale politische Standpunkte vertrat, hatte Tvind in den Sechzigerjahren gegründet. Er errichtete ein Weltimperium von Schulen, Fabriken, Plantagen und Recyclingbetrieben.

In den Niederlanden ist Tvind unter dem Namen Humana im Sammeln von Second-Hand-Kleidung groß da. Der offizielle Zweck ist es, die Dritte Welt zu unterstützen. Aber das meiste Geld, das Tvind verdiente, ging der dänischen Justiz zufolge nicht an den guten Zweck. Durch Postkastenfirmen in Steuerparadiesen sollen große Summen abgezweigt worden sein.

Petersen verschwand in den Achtzigerjahren vom Erdboden, wurde aber im Jahre 2001 von dänischen Journalisten in Miami aufgespürt, wo der inzwischen grauhaarige Sechziger seine Tage im Reichtum in einem Millionenappartement verbrachte. Heute steht der Tvindleiter in Dänemark wegen des Verdachts umfangreichen Betrugs vor dem Richter.

Pedersens Tvind bestand aus Menschen, denen Autoritäten und Bürgerlichkeit zuwider war. Sie fühlten sich als revolutionäre Vorkämpfer für eine bessere Welt, eine Ideologie, die Patricia Brunklaus ansprach.

Als sie aber nach sieben Jahren die enge Verbindung zu Tvind abbrechen wollte, ging das nicht so einfach. Fast wäre sie an einer Straßenecke in Harare, Zimbabwe, von drei Mitgliedern der Lehrergruppe in ein Auto gezerrt worden. Nun ist sie das einzige niederländische Ex-Mitglied der Lehrergruppe, das seine Geschichte erzählen will. Die anderen haben Geheimnummern und wollen die Vergangenheit nicht mehr aufwärmen. Brunklaus' Geschichte stimmt mit den Zeugnissen dänischer Mitglieder überein, die vor Kurzem die Lehrergruppe verlassen haben.

"Wenn ich die Annoncen sehe, worin sie in niederländischen und belgischen Medien nach Freiwilligen für Afrika suchen, werde ich immer wütend." sagt sie. "Und die elenden Container für gebrauchte Kleider. Das ist eine völlig geschlossene Organisation."

In Studentenblättern stehen regelmäßig kleine Aufrufe: Freiwillige gesucht für Sambia und Angola. Mit einer Telefonnummer und einer E-Mail-Adresse in Dänemark. Und im Internet.

Wieviel Holländer momentan in der Organisation aktiv sind, ist nicht bekannt. Im vergangenen Oktober tauchte jedenfalls der Name von Esther Nicolay (24), einem niederländischem Mitglied von Tvinds Lehrergruppe auf. Auf der Website von Amnesty in Noordwijk, auf der Website des Infantrieregiments Johan Willem Friso in Libanon. Im Vrouwennet [Frauennetz]: "Liebe Frauen, wir sind auf der Suche nach Freiwilligen, die sich für Projekte in Afrika einsetzen wollen." Mit dabei die dänische E-Mail-Adresse von Nicolay: "Nehmt Kontakt auf." Aber auf Fragen von Trouw reagiert sie nicht.

Hinke van Dorp, Julia Scholten, Joost van der Zanden und die Belgierin Annemarie van der Walle sandten ein E-Mail. an Humana - sie wollten gerne in Afrika arbeiten - und wurden im vergangenen Herbst für ein Wochenende in die weißgepflasterte Tvindschule in Juelsminde eingeladen. Die Reise nach Dänemark mußten sie selbst bezahlen.

"Es klang vielversprechend", sagt Van der Walle, "In Dänemark sollten wir zuerst eine Ausbildung erhalten und dann mußten wir Geld sammeln, um unsere eigene Ausbildung und das Flugticket zu bezahlen. Aber ich fand, daß die Ausbildung nichts darstellte, es war nahezu so, daß die Freiwilligen unvorbereitet nach Afrika reisen sollten. Und wenn wir Fragen über Tvind stellten, wurden wir schnell abgefertigt. Alle Aufmerksamkeit der Dänen richtete sich auf Besucher, die noch zu überzeugen waren."

Van Dorp: "Es herrschte eine negative Atmosphäre. Was sie Ausbildung nannten, war gewöhnlich Geldsammeln. Ich mußte auf die Straße, um für Tvind Geld zu verdienen. Sobald sie merkten, daß wir über die Finanzierung von Tvind Fragen stellten, wurden wir abgeschüttelt. Dann waren sie an einem plötzlich nicht mehr interessiert."

Julia Scholten hat als Krankenschwester bereits afrikanische Erfahrung. Sie arbeitete fünf Monat in Südafrika bei einem Aids-Projekt. "Ich bin dadurch bezüglich Entwicklungszusammenarbeit viel kritischer geworden. Auf der ganzen Welt werden Menschen angeworben, die denken, in Afrika Gutes zu tun. Aber ich frage mich, ob sie nicht noch mehr kaputtmachen. Das dort ist kein Spielplatz. Wenn ich darüber bei Tvind Fragen stelle, bekomme ich keine Antworten. Sie wollen in Dänemark in fünf Monaten Freiwillige für Angola vorbereiten, aber dann werden sie nach Sambia geschickt. Das finde ich seltsam. Es kam uns schnell die Idee, daß das nicht klappt. Es ist dort jemand damit beschäftigt, sehr reich zu werden."

Van der Zanden beschloß jedoch nach seinem enttäuschenden Besuch in Dänemark, auf eigene Faust nach Lateinamerika zu gehen. "Die Atmosphäre dort gefiel mir nicht. Es stehen doch offenbar sektiererische Praktiken dahinter."

Tvind sei keine Sekte, sagt der Däne Per Jensen, Mitglied der Lehrergruppe und Vorsitzender von Humana Niederlande, jener Institution, die unter gemeinnütziger Flagge in 120 niederländischen Gemeinden Altkleider sammelt. "Es gibt keine gemeinsame Religion und keine geheimen Rituale."

Aber zufolge Patricia Brunklaus(45), Ex-Mitglied von Tvind und derzeit Direktorin des Flüchtlingswerks Tilburg, ist die Lehrergruppe sicher eine Sekte. "Es gilt dort 'Wir gegen sie'. Ich war als Mitglied nicht frei, es gibt ungeschriebene Regeln und Codes, Kontakte außerhalb der Gruppe werden verhindert, auch mit der Familie. Es gibt einen mystischen charismatischen Leiter mit unbeschränkter Macht. Er bestimmt, was geschieht, die anderen folgen ihm blindlings. Das entspricht doch alles einer Sekte." Sie verfolgt nun ständig die Entwicklung, unter anderem durch eine internationale Site, die vor Tvinds Praktiken warnt (www.tvindalert.com

).

Was Brunklaus über ihre sieben Jahre bei der Lehrergruppe berichtet, entfaltet sich als Scenario eines beklemmenden Films. Sie nahm 1977 an einem Dritteweltkurs der Reisenden Volkshochschule teil, aus welcher Tvind entstand. Der Kursleiter, Mitglied der Lehrergruppe, fragte sie, ob sie beitreten wolle. "Ich fühlte mich geehrt. Ich fand dies eine reizende Gruppe von Menschen, ganz links, ganz alternativ und sozialbewußt. Mit viel Aufmerksamkeit auf die ungleiche Verteilung in der Welt."

Sie wurde durch zwei Frauen, Vertraute von Mogens Amdi Petersen, in die Grundsätze von Tvind eingeweiht: Zeit und Geld sind gemeinschaftlicher Besitz, Mitglieder setzen sich bedingungslos für die Lehrergruppe ein. Erst später entdeckte sie, daß es noch viele andere Regeln gab.

Patricia Brunklaus wurde für eine Probezeit von zwei Jahren aufgenommen. Sie wußte, daß sie, um einen Vertrag für unbeschränkte Zeit zu bekommen, auch all ihren persönlichen Besitz in die Lehrergruppe einbringen mußte. "Als ich einen befristeten Vertrag hatte, galt ich noch nicht als vollwertig. Es ereignete sich vieles außerhalb von mir. Wenn ich für unbestimmte Zeit unterschrieb, würde ich von Amdi Petersen umarmt. Dann gehörte ich dazu."

Brunklaus merkte dann schnell, daß sie sich innerhalb der Lehrergruppe zurückhalten mußte. "Sie ließen dich fühle, daß nichts gegen Beschlüsse getan werden konnte. Bevor ich Mitglied der Lehrergruppe wurde, waren sie entsetzlich artig und sympathisch. Als ich dann einmal drinnen war, war es sofort ein Stück ernster. Man hielt Abstand voneinander. Ich bekam bei den Zusammenkünften gesalzene harte Kritik, wenn ich ihnen zufolge etwas nicht gut gemacht hatte. Ich begriff oft selbst nicht, was der Fehler war.

Ich durfte nicht rauchen, keinen Alkohol trinken, nicht mit Außenstehenden über die Lehrergruppe sprechen. Von Beziehungen, jedenfalls außerhalb von Tvind, wurde stark abgeraten. Und weiterhin arbeiten, arbeiten, arbeiten. Eigenes Geld hatte ich keines. Alles, was die Lehrer verdienten, ging in einen gemeinsamen Topf. Niemand wußte, was er einzahlte. Die Lehrer bekommen aus den Subventionen der dänischen Behörden ein ordentliches Gehalt, das geradewegs in die interne Kasse von Tvind ging. Das System besteht noch immer."

Die Reserven von Tvind sind geheim. Kein Mitglied der Lehrergruppe will darüber etwas sagen. "Ich frage dich ja auch nicht, wie hoch dein Lohn ist", sagt die 46-jährige Gea Eekman, die seit 1983 Mitglied der Lehrergruppe ist. "Es ist doch unsere Sache, wie wir unser Geld ausgeben wollen?"

Eekman arbeitet seit 1995 für Humana in Angola. Sie leitet dort eine Tvind-Schule. Über die Lehrergruppe sagt sie: "Menschen, die hart für und mit Menschen arbeiten, die wenig Chancen haben. Das ist keine Stellung von neun bis fünf."

In Westafrika bekommt sie von den örtlichen Behörden etwa 3100 amerikanische Dollar pro Monat als Basislohn. Dazu kommt ein Zuschlag von den Vereinten Nationen, die Gesamtsumme ist etwa 5000 Dollar. Ein Teil des Geldes wird für Essen und Kleidung benötigt. "Das Leben in Angola ist ziemlich teuer. Was übrigbleibt, geht in Tvinds Spartopf , woraus Sonderausgaben für Mitglieder der Lehrergruppe bestritten werden, wie die Finanzierung von Sabbaturlaub, Pensionen und Flugtickets für Familienbesuch." Eekman zufolge werden aus Tvinds Mitteln auch Projekte in Drittweltländern unterstützt.

Eekman sagt, sie wisse nicht, wieviel Geld sich auf dem Sparkonto von Tvind befindet. "Ich habe, was ich brauche, und ich tue die Arbeit, die ich gerne tun will. Das ist für mich genug. Ich habe übrigens auch eigenes Spargeld."

Patricia Brunklaus hielt es sieben Jahre bei Tvind aus. "Ich entwickelte innerhalb der beengenden Kultur der Lehrergruppe eine eigene Überlebensstrategie. Aber ich war dadurch auch sehr einsam. Ich hatte wohl einmal einen Freund. Ich rauchte wohl auch. Drüber sprach ich nicht."

Freizeit gab es keine. Zu Weihnachten wollte Brunklaus heim. Ohne Reisegeld. Am Weihnachtsabend fuhr sie per Anhalter in die Niederlande. Am zweiten Weihnachtstag mußte sie wieder zurück, per Anhalter, um am Tag nach Weihnachten beim Fest der Lehrergruppe dabei sein zu können. "Bei dieser Zusammenkunft wurde der Besuch von Amdi Petersen angekündigt und die wunderbare Verbundenheit betont."

Brunklaus entsprach brav den Regeln von Tvind. Damals, als sie in den Niederlanden lebte, vernichtete sie Jugendfotos und alte Schulzeugnisse. "Das mußten wir, da wir immer die neuen Revolutionäre waren und daher möglicherweise von der Polizei und vom Geheimdienst verfolgt wurden. Ich tat säuberlich, was mir aufgetragen wurde, ich glaubte auch wirklich daran. Wir hatten eine Menge Regeln, für alles."

Der Umschwung kam für Brunklaus nicht lange, nachdem die Lehrergruppe entdeckte, daß sie eine Beziehung mit jemandem von 'draußen' hatte. "Ich wurde zur Rede gestellt und bekam fürchterliche Schelte. Sie schickten mich in ein Straflager. In eisiger Kälte mußt ich eine Tvindschule reparieren. Zuerst dachte ich, da stimmt etwas nicht."

Brunklaus beschloß, innerhalb der Organisation ihren eigenen Weg zu suchen. Sie schlug Pedersen vor, in den Niederlanden eine Tvind-Schule zu gründen. "Letztendlich stimmte er zu, aber dadurch, daß ich selbst die Initiative ergriffen hatte, wurde ich seitdem als Problem betrachtet, wie sich später herausstellte. Die Schule steuerte auf einen großen Erfolg hin. Wir bekamen von den Patres in Oud-Gastel leihweise ein ehemaliges Seemannsinternat. Es schien prima zu gehen. Aber kurz darauf kam bei einer Zusammenkunft in Dänemark heraus, daß ich außerhalb der Gruppe stand. Ich hatte mich in den Niederlanden wirklich abgestrudelt, aber dafür keine einzige Würdigung erhalten."

Dazu kam noch, daß Brunklaus in den Niederlanden einem Mann begegnete, der nichts mit Tvind zu tun hatte. "Meine Beziehung zu ihm wurde schnell bekannt. Ich war offenbar eine Abtrünnige. Amdi Pedersen schickte mich dann zu einem Projekt in Zimbabwe." Ihr Freund schrieb viele Briefe, aber Brunklaus bekam keinen einzigen davon zu sehen. Kollegen aus der Lehrergruppe unterschlugen die Briefe und lasen sie auf dänisch den anderen vor. Sie wurde in Zimbabwe eineinhalb Tage lang von dreizehn Leuten aus der Lehrergruppe über ihre Beziehung außerhalb Tvinds befragt. "Es war ein Martyrium, obwohl ich weiß, daß ich diesen Begriff nicht leichtfertig gebrauchen darf."

Sie bedauert ihre Jahre bei der Lehrergruppe nicht. "Ich habe es nach Ehre und Gewissen getan. Die Arbeit, die wir leisteten, war phantastisch. Wir haben sehr viel für Benachteiligte und Randgruppenangehörige getan. Aber die Sache mit der Organisation ist völlig falsch. Amdi Pedersen hat dreißig Jahre lang Menschen ausgenützt, eine unbeschränkte Macht etabliert. Es ist unglaublich, daß Tvind nach dreißig Jahren immer noch bestehen kann."

Morgen: Humana's Handel mit Geld und Kleidern.