Michael Garnett: Eucharistie im Wunderland

Die Eucharistie ist das eigentliche Herz im Leben einer katholischen Gemeinde. Aber, darauf haben die Bischöfe Ozeaniens im Vorjahr bei der römischen Synode hingewiesen, der Priestermangel hat dazu geführt, daß sich viele Gemeinden so an Notlösungen für die Sonntagsliturgie gewöhnt haben, daß die Feier der Eucharistie "dabei ist, auszusterben". In diesem Artikel aus "The Tablet" beschreibt Pater Michael Garnett, ursprünglich aus der Diözese Westminster, England, nun aber der Diözese Cajamarca zugehörig, die Situation im peruanischen Teil der Anden. Er fordert zu neuem Denken bezüglich der sakramentalen Obsorge der Kirche auf: "Das gesamte sakramentale Leben der Kirche ist in Unordnung geraten".

Ich begann 1972 meine Arbeit in den Anden und meine letzte Pfarre bestand aus 45 Gemeinden. Ich hatte einen großartigen Laien als Vollzeitassistent; er war ständig unterwegs und munterte unsere 70 Katecheten auf, und gemeinsam planten wir, wie ich es anstellen sollte, in so vielen Gemeinden wie möglich Erstkommunion zu feiern. Bei einer dieser Feiern - es war die zweite an diesem Tag - fiel mir eine Erinnerungstafel an der Kapellenwand auf, die stolz verkündete, daß das Gebäude von der örtlichen Gemeinde vor sieben Jahren errichtet worden war. Ich fragte den jungen Katecheten, wann hier das letzte Mal Messe gefeiert worden wäre. Er lächelte und sagte: "Dies ist heute das erste Mal, Pater".

Das 2. Vatikanische Konzil macht es zum Überdruß klar, daß die Liturgie "der Höhepunkt ist, auf den sich die kirchlichen Handlungen richten" und "die Quelle, aus der ihre ganze Kraft strömt" (Sacrosanctum Concilium, 10). Der zentrale Platz der Liturgie in der christlichen Gemeinschaft mit dem Priester als Schlüsselfigur wird in der neulich veröffentlichten "Instruktion über gewisse Fragen betreffend die Teilnahme Nichtgeweihter am Priesteramt" betont. Das priesterliche Amt ist diesem vatikanischen Dokument zufolge dafür "notwendig", daß eine Gemeinde einen Teil der Kirche bilden kann. Das ordinierte Priesteramt, heißt es weiter, soll nicht als eine historische Zutat zur kirchlichen Gemeinschaft gesehen werden, "als ob man sich eine bereits etablierte Kirche ohne diese Priesterschaft vorstellen könnte. (-) Wenn einer Gemeinschaft der Priester fehlt, wird sie der Ausübung von Christi Handlung beraubt (-), die für das Leben in jeder kirchlichen Gemeinschaft wesentlich ist".

Aber unabhängig davon, wie rasch ein Priester von Gemeinde zu Gemeinde eilt - ob wohl "eilt" der richtige Ausdruck dafür ist, wie man in den gebirgigen Anden von einer Pfarre in die nächste kommt -, wird sein Versuch, die eucharistische Verankerung der Gemeinde festzuhalten, fast ein Schlag in die Luft. Die Gläubigen sind in Wirklichkeit "entkirchlicht", während das Dasein des Priesters von tiefen Spannungen und Frustration geprägt ist. Es ist besonders seelenzerstörend, so glückliche Begebenheiten wie die Ostervigil so schnell wie möglich mit einem Blick auf die Uhr feiern zu müssen. Mein Ostervigilprogramm im Vorjahr begann um 6 Uhr nachmittags und endete drei Vigilien später - u.a. nach einem wilden Ritt über das Gebirge in stockdunkler Nacht - um 3:30 Uhr am nächsten Morgen. Das Ganze wurde besonders herzergreifend, als ich in die letzte Kirche hineinhastete: die Glocken läuteten nicht für mich, sondern für das Gloria. "Pater", sagte der Katechet, "wir haben angefangen, denn wir waren nicht sicher, ob du es schaffen wirst, hierherzukommen". Ich war tatsächlich eine halbe Stunde verspätet, und als ich endlich am Altar stand, bat ich um Entschuldigung, daß ich so spät gekommen war. Aber die Gemeinde grüßte mich lächelnd und winkte mit kerzenbeleuchteten Blumensträußen: "Nur die Ruhe, Pater", kam es von ihnen. "Und tausend Dank, daß du gekommen bist".

Nach einem solchen Erlebnis ist es unglaublich irritierend, vom päpstlichen Nuntius zu hören, die Probleme des Priestermangels ließen sich dadurch lösen, daß der Bischof sorgfältig vorbereiteten Katecheten besondere Erlaubnisse zur Verwaltung des Altarssakramentes erteile. Dies ist nämlich die "Medizin", die er mir und anderen Priestern in der Diözese anbietet. Damit tut man so, als ob dies eine vorläufige Notlösung sei, die unaktuell wird, sobald die Zahl der Priesterberufungen wieder steigt. Ich stimme zu, daß es eine Notlösung ist, aber "vorläufig"? Die Instruktion von 1997 meint es deutlich so, da sie von "sehr schwierigen und krisenartigen Zuständen" spricht.

Ich kenne die vatikanische Definition von "Krise" nicht, aber gemäß der Lehre der Kirche über ihre Eigenart und Natur war die Situation in den Anden seit November 1532 "sehr schwierig und krisenhaft", als der Dominikanermönch Vicente Valverde dem Inkaherrscher Atahuala gerade hier in Cajamarca gegenüberstand, wo ich wohne. Dies war ein Zusammenstoß zwischen zwei Kulturen und zwei Religionen ohne die geringste Möglichkeit für gegenseitiges Verständnis, denn es war - wegen ihrer jeweiligen Standpunkte - ein Gespräch zwischen Tauben. Von damals an und bis zum heutigen Tag konnte die Mehrzahl der Gläubigen in unserer Pfarre an der Eucharistie nur auf höchst zufälliger Basis teilnehmen.

Die vatikanische Instruktion ist optimistisch. "Wenn man den zahlenmäßigen Mangel an Priestern in gewissen Gebieten besonders stark merkt, dann muß daran erinnert werden, daß in anderen Gebieten ein Aufblühen der Berufungen stattfindet, das für die Zukunft Gutes verspricht." Ich möchte mich nicht unbedingt zynisch äußern, aber wir sollen angeblich die Freude eines Aufblühens in Peru haben, wenn gleichzeitig die Situation in den entlegenen Andengemeinden so ist, wie sie im Großen und Ganzen immer gewesen ist (und jetzt auch in den wildwachsenden Slums rings um unsere Großstädte). Dies ist teils darauf zurückzuführen, daß der prozentuelle Anstieg der Berufungen mit dem allgemeinen Bevölkerungswachstum bei weitem nicht Schritt hält, teils darauf, daß es die wirtschaftliche Grundlage für die Heranbildung eines Priesters in den ärmsten und marginalisiertesten Gebieten einfach nicht gibt.

Das gesamte sakramentale Leben der Kirche ist in Unordnung. Das Sakrament, das die meisten für ihre Kinder wünschen, ist die Taufe, während Firmung, Ehe, das Sakrament der Buße und die Krankensalbung für die große Mehrzahl hier in dieser Gegend niemals ein Teil des Glaubenslebens waren. Und der Priester findet leider allzu oft, daß diese Sakramente mehr eine Bürde als eine Freude sind. Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich mit allem anderem als heiligem Enthusiasmus reagierte, als ich nach 6 - 7 Stunden im Beichtstuhl und anschließend am Altar gebeten wurde, eine Reitstunde oder weiter entfernt Beichte zu hören und ein Pfarrkind zu salben. Ich fragte einmal den Bischof, ob es Hoffnung gäbe, daß Rom erlauben würde, daß der Ortsbischof den Katecheten die Genehmigung zur Spendung der Krankensalbung erteile. Er sagte, er hätte die Angelegenheit vorgebracht, aber der betreffende Kardinal scheine das Problem nicht zu verstehen. Ich erwiderte etwas scharf, wenn Seine Eminenz einmal an einer pastoralen Gebirgsreise teilnehmen könnte, dann würde er es wahrscheinlich verstehen - in weniger als einer Viertelstunde!

Vor 25 Jahren, als wir wochenlang hin- und herwanderten, um "Flagge zu zeigen", fühlen wir, daß wir alles taten, was wir konnten, um das Schiff Petri schwimmend zu halten. Wir stehen noch immer da, aber an vielen Stellen ist das Schiff Petri gesunken. In Gemeinden, die sakramental ausgehungert und jedes sinnvollen Verständnisses von Kirche beraubt sind, sind die Predigten der protestantischen und neuchristlichen Pastoren auf fruchtbaren Boden gefallen, gerade deshalb, weil die Zuhörer fühlen, daß sie die eine oder andere Form von geistlicher Nahrung erhalten. Manchmal kann man versucht sein zu meinen, es handle sich um "junk food", was da angeboten wird, aber wir haben kein Recht zu kritisieren, wenn wir nichts Besseres anbieten können.

Überall dort, wo es uns nicht gelungen ist, solide christliche Gemeinschaften aufzubauen, haben Gruppen, die eine fundamentalistische Bibelauslegung mit der Versprechung verbreiten, man könne bei ihnen das Heil finden, eine willige Zuhörerschaft gefunden, ebenso wie die rabiate marxistische Lehre, die von den Terroristen des "Leuchtenden Pfades" verkündet wurde, Licht und Hoffnung für die marginalisierten Teile der Bevölkerung zu enthalten schien, die in der politischen und sozialen Finsternis des Landes versunken waren. Sekten und Terroristen sind vielleicht zwei Seiten derselbe Sache: sie bieten Sicherheit in einer unsicheren Welt. Dazu gehört auch, daß, während die Terroristen die Jungen dazu brachten, zu morden, die Sekten die Leute dazu anspornen, die Jungfrau Maria und die Heiligen zu verhöhnen und Statuen und Bilder zu verbrennen. Jeder, der solche Handlungen begeht, sitzt psychologisch in der Klemme.

Unsere Katecheten wurden von Terroristen bedroht, und die Sekten haben versucht, sie zu bestechen, während Priester und Schwestern, die ihr Äußerstes getan haben, die Kirche aufzubauen, oft ohne Unterstützung und Ermunterung dastanden und mitunter sogar von der Kirchenleitung angeklagt wurden, Marxisten zu sein. Es ist richtig, daß viele von uns, die unter den Marginalisiertesten der Gesellschaft hart gearbeitet haben, sich in der pastoralen Praxis an der Befreiungstheologie orientiert haben. Deshalb fand ich es sehr bedauerlich, daß ich in dem Buch meines Landsmannes Paul Johnsen "The Quest for God" die gleiche Kritik fand, der wir ausgesetzt waren: "Sogar der Marxismus (-) tauchte wieder in halbreligiöser Form in der Lehre auf, die Befreiungstheologie genannt wird. Das ist recht und schlecht antichristliche Ketzerei, ohne jede Form von moralischer Grundlage, und sie war, wie die Erfahrung in Lateinamerika zeigt, eine Quelle von Gewalt und ein großes moralisches Übel." Dies ist der Dank, den sie erhalten, die Hunderte von christlichen Märtyrern - Bischöfe, Priester, Schwestern, Katecheten und andere Laien -, die versucht haben, zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft beizutragen, die auf christlichen Werte basiert, mitten in einer Gesellschaft, die in innewohnender Gewalt und Ungerechtigkeit befangen ist und von jenen aufrechterhalten wird, die immer genügend zu essen - und leichten Zugang zur Eucharistie - hatten.

Es ist in Predigten üblich, zwischen Eucharistie und Mahl eine Verbindung herzustellen, aber oft auf sehr oberflächliche Weise. Angesichts der derzeitigen Kirchenstrukturen findet man die Feier der Eucharistie höchstwahrscheinlich gerade dort, wo materieller Überfluß herrscht, während die Feier dort fehlt, wo der materielle Überfluß fehlt. Darauf hinzuweisen, davor zu warnen, daß Menschen aus Nahrungsmangel sterben, und daß Gemeinden aus Mangel an eucharistischer Nahrung sterben, und dann den Nachruf zu erhalten, man bekenne sich zu "einer antchristlichen Ketzerei", ist "ebenso pervers, wie denjenigen wegen Mordbrands anzuklagen, der dich warnt, daß dein Haus in Flammen steht." Diese Worte habe ich von Gustavo Gutierrez, dem peruanischen Vater der Befreiungstheologie.

Erlaubt mir, mich wieder dem Bild vom Schiff Petri zuzuwenden: die Passagiere der dritten Klasse an Bord der Titanic sahen den Ernst der Lage viel früher als die der ersten Klasse, die Decks unter ihnen und der Luxus rings um sie beschützten sie vor dem eiskalten Wasser, das im Boden des Schiffes eindrang. Und die Rettung war für die der ersten Klasse näher: sie konnten in die Boote gehen. Die der dritten Klasse kamen bekanntlich schlecht weg: sie waren am weitesten von den Rettungsbooten entfernt, von denen es außerdem zu wenige gab. Von den schwächsten und ärmsten Gruppen von allen unten in der dritten Klasse, den Kindern, war der Zahl der Ertrunkenen mehr als doppelt so hoch wie die der Geretteten.

Ich möchte behaupten, daß das Schiff Petri auch an gewissen Konstruktionsfehlern leidet, und daß die Armen Passagiere der dritten Klasse bleiben - trotz der Dokumente von Medellín und Puebla und deren Betonung von "die Armen zuerst" ("preferential option for the poor"). Und ist nicht ein System, das die Menschen eucharistisch aushungert, ebenso sündig wie eines, das sie dem Hunger überläßt, wenn es um das tägliche Brot geht?

Ich selbst bin überzeugt, daß viele unserer heimischen Schwierigkeiten, Eucharistie zu feiern, ihren Ursprung in einer europäischen Auffassung von Sakramenten und Seelsorge haben, um nur zwei Dinge zu nennen: eine Auffassung, die einer Kultur und einer Geographie aufgezwungen wurde, wo sie niemals richtig Fuß fassen konnte. Ich möchte glauben, daß es innerhalb des menschlichen Einfallsreichtums eine Lösung geben müßte, aber ich ahne, daß meine Lösungsvorschläge denjenigen, der unter dem gegenwärtigen System Essen auf dem Tisch und leichten Zugang zur Eucharistie hat, dazu bringen könnte, sich zu bekreuzigen.

Es ist keine Lösung in Sicht, solange man sich weigert, den Tatsachen ins Auge zu schauen. Die Passagiere der ersten Klasse an Bord des Schiffes Petri mögen gerne über irrelevante Details streiten - die Bischofsynode für Amerika (1998) ergab wenige und keine praktischen Ergebnisse -, aber diejenigen von uns, die sich unten am Boden befinden, wissen, daß das eiskalte Wasser hereinströmt und daß das Schiff dabei ist, zu sinken. Die Armen in den Anden und in den Slums unserer Großstädte haben ebenso wie andere Gruppen in der heutigen komplexen Welt das Recht, ernst genommen zu werden, wenn die Lehre und die Disziplin der Kirche in Verbindung mit der Eucharistie diskutiert wird.

Ein moderner Karikaturist pflegt auf Peru als das "Wunderland" hinzuweisen (wie "Alice im Wunderland"), einen Ort, wo die Empfindungen und Sinne leicht auf bizarre und bedeutungslose Ereignisse treffen. Zu behaupten, wie wir es heute tun, daß die Eucharistie die zentrale Feier der katholischen Gemeinschaft ist, ist vielfach dasselbe wie sich in einem Wunderland zu befinden. Wäre es nicht großartig, könnte man diese rückwärtsgewandte Welt so umwenden, daß alle Katholiken das wirkliche Wunderland erleben könnten, das Christus selbst im Sinne hatte, als er sich im eucharistischen Mahl opferte?

Einer der Vorschläge für die Jahrtausendwende lautet, es sollte ein Jubeljahr mit einer Sanierung der enormen Schuldenlast der dritten Welt werden. Diese ist zum großen Teil daran schuld, daß es auf vielen Tischen wenig oder nichts zu essen gibt. Könnte nicht die Jahrtausendwende auch ein Anlaß sein, die Rolle unserer Sakramente neu zu überlegen, so daß sie den Armen und Unterprivilegierten nicht weiterhin vorenthalten werden?

Aus: St. Olav, katholische Zeitschrift für Religion und Kultur, 6/1999, Jahrgang 111.

Übersetzung: Friedrich Griess