Aus "St. Olav", katholische Zeitschrift für Religion und Kultur, Nr. 1-2/1998:

Baby Johannessen: Die Hierarchie und die Laien (1):

In Europa nimmt der Priestermangel zu

Wir haben über den Priestermangel in der römisch-katholischen Kirche in mehreren Erdteilen gehört. Nun sind auch Europas Diözesen betroffen. Immer mehr Pfarrgemeinden stehen ohne eigenen Pfarrer da.

Einer der fortschrittlichsten Denker und Pioniere in unserer Zeit, der Jesuitenpater und Soziologe Jan Kerkhofs, emeritierter Professor an der katholischen Universität Löwen, Belgien, hat im Buch "Europe without priests?" uns Statistiken und eine Situationsanalyse geschenkt, die zu studieren und ernst zu nehmen es allen Grund gibt.

Die wirkliche Situation

In den letzten 30 Jahren hat eine große Anzahl von Priestern ihr Amt verlassen, eine bisher unbekannte Situation für die Kirche. Eine Gesamtübersicht gibt einen kleinen Einblick in die Anzahl der Priester im aktiven Dienst in Europa (die Zahlen in Klammern sind von 1986): Weltpriester 1992: 154.556 (159.682); Ordenspriester 1992: 67.920 (70.805). Wenn die Zahl der Ordenspriester ebefalls sinkt, wird es für die Bischöfe immer schwieriger, Ordenspriester für normale Seelsorgstätigkeit in Gemeinden zu bekommen.

Von der Rota in Rom (die Rota ist die höchste Berufungsinstanz in der Kirche vor dem Papst) kommt die Information, daß zwischen 1963 und 1969 (also in den ersten Jahren nach dem Zweiten Vatikankonzil) in der gesamten Kirche 5.184 Weltpriester und 4.620 Ordenspriester von ihrem Priestergelöbnis dispensiert wurden. Wenn eine solche Dispensation bewilligt wird, wird man im besten Fall vollwertiger Laienkatholik. Zwischen 1969 und 1980 verließen 24.488 Priester durch Ansuchen um Dispens ihr Amt, aber man weiß nicht, wieviele eine solche Dispens erhielten. Man weiß, daß Papst Johannes Paul II die Anzahl der erteilten Dispensen drastisch verringerte, was im schlimmsten Fall bedeutet, daß Priester, die ihr Amt verlassen, mit der Zeit darauf verzichten, um Dispens anzusuchen, und schließlich die Kirche verlassen.

In absolut allen jenen europäischen Ländern, in denen die römisch-katholische Kirche bis vor einigen Jahrzehnten genug Priester rekrutieren konnte, plagen sich die Diözesen jetzt. Eine steigende Alterskurve unter den noch vorhandenen Priestern und ein dramatischer Rückgang der Zahl der Priesterstudenten in den Priesterseminaren verbessert die Situation nicht. Die Diözesen mußten eine umfassende Schließung / Zusammenlegung von kleinen und teilweise mittelgroßen Gemeinden vornehmen. In den großen Städten kann die Situation manchmal brenzlich werden - mit einem Pfarrer, der 20.000 oder mehr Katholiken versorgt - ohne Hilfe durch einen Kaplan oder andere Geistliche.

Daß in Ländern wie Deutschland, Frankreich und England Priestermangel herrscht, war vielen von uns bekannt. Daß der Priestermangel in sogenannten "katholischen" Ländern wie Spanien, Italien oder Irland längst eine Tatsache ist, war jedoch weniger bekannt. In Polen gab es viele Priesterberufe, als ein Pole zum Papst gewählt wurde, aber auch hier hat sich die Zunahme der Priesterstudenten verflacht.

Trotz alledem zeigt Jan Kerkhofs, daß Europa noch immer über mehr als die Hälfte der katholischen Welt- und Ordenspriester in der Welt verfügt.

In einem kurzen Artikel ist es unmöglich, einige der Statistiken anzuführen, die Jan Kerkhofs erstellt hat - man muß dies im Gesamten lesen. Speziell Interessierten wird die Lektüre von Jan Kerkhofs' Buch "Europe without priests?" empfohlen.

(Wir norwegische Katholiken müssen uns glücklich preisen, daß wir unter solchen Verhältnissen nun mehrere Berufungen haben, daß wir jüngere Priester haben, die gerade ihr Amt angetreten haben, und daß wir eine Anzahl Priesterstudenten haben).

Die Ursache des Priestermangels

Auch wenn es eine Binsenweisheit ist, daß eine große Anzahl Priester, sowohl Welt- als auch Ordenspriester, ihr Amt verlassen hat, um zu heiraten, meint Jan Kerkhofs, daß die Zölibatsforderung bei weitem nicht die einzige Ursache für den Schwund und den Mangel an Nachwuchs ist. Er kennt viele andere Erklärungen. Er rechnet aber damit, daß die Zölibatsforderung für katholische Priester bei vielen, die jetzt an den Universitäten Theologie studieren, im Hinterkopf sitzt. Die meisten dieser Studenten , die gerne Priester geworden wären, gehen nun in den Schuldienst.

Die interessanteste Ursache für den Rückgang der Priesterberufungen, die Jan Kerkhofs erwähnt, ist die, daß die katholische Familienstruktur in Europa sich nach dem zweiten Weltkrieg drastisch geändert hat. Früher hatten die meisten katholischen Familien viele Kinder und immer jemanden, den sie für eine Berufung "entbehren" konnten. Der Priesterberuf wurde auch als ein Lebensweg für viele junge Männer angesehen. Katholische Eheleute haben jedoch inzwischen ihre eigene "Familienplanung" eingeführt, unabhängig von päpstlichen Geboten, und haben seit langem nur ein oder zwei Kinder. Da braucht es viel, um für eine Berufung Raum zu schaffen. Katholische Eltern, wie alle anderen verantwortungsbewußten Erwachsenen, sorgen dafür, daß die Jungen die bestmögliche Ausbildung für ein Leben in der säkularen Welt je nach Fähigkeiten und Kräften erhalten.

In den meisten europäischen Ländern sind die Katholiken nicht mehr so stark wie früher an die Kirche gebunden. Viele befolgen nicht mehr die "Sonntagspflicht" und die Beichtpraxis nimmt ständig ab. Die Kirche ist zu einer Servicestation für Taufe, Firmung, Eheschließung und Begräbnis geworden.

Der Priesterberuf wirkt auf junge katholische Männer auch nicht mehr verlockend. Denen, die sich weiterhin an die Kirche halten, fällt die Anstrengung der Priester auf und sie bleiben lieber Laien. Daß die Pfarrer oft sehr alt sind, erzeugt für die Jungen eher ein "Großvaterbild" und mit diesem können sich die Jungen nicht identifizieren.

Es ist ferner eine Binsenweisheit, daß katholische Organisationen, die oft eine Vorbereitung für Priesterberufe boten (z.B. die katholische Pfadfinderbewegung), es nicht mehr schaffen, junge Mitglieder anzuwerben. In der Tat werden nun auch katholische Jugendliche von charismatischen Bewegungen und christlichen "Untergrundgruppen" mit schwacher Bindung an die Hierarchie angezogen.

Das Wichtigste sind natürlich die Möglichkeiten der Wohlstandsgesellschaft für die Jungen, wenn es um eine Ausbildung geht, die eine Karriere im zivilen Leben fördert. Da wirkt ein schlecht bezahlter, anstrengender und einsamer Priesterberuf nicht verlockend.

Können die Priester ersetzt werden?

Als Sakramentenverwalter können die Priester grundsätzlich nicht ersetzt werden. Aber die Kirche ist genötigt, in neuen Bahnen zu denken, meint Jan Kerkhofs. Er ventiliert den Gedanken an eine zeitlich begrenzte Priesterberufung. Ein Gelöbnis für das ganze Leben abzulegen kann heute auch für jene erschreckend wirken, die eine Berufung spüren. Das hat etwas mit dem Gewissen und der Ehrlichkeit zu tun. Man weiß als junger Mann nicht, was man als mittelalterlicher oder in die Jahre gekommener denken wird. Bei einer zeitlich begrenzten Priesterberufung werden einige Priester ganz sicher unterwegs wegfallen, aber viele, vielleicht die meisten, werden sich wegen eines solchen "Sicherheitsventils" nach Ablauf der vereinbarten Zeit für eine Fortsetzung entschließen.

Die Priesterausbildung muß auf jeden Fall zum Teil verändert werden, so daß die Priesterstudenten einen besseren Einblick in die heutige Gesellschaft erhalten, die ja die Laien sind, denen die Priester zur Verfügung stehen sollen. Die Zusammenarbeit mit Gruppen von Laien muß auch in der Priesterausbildung gelehrt werden. Und vor allem müssen Kenntnisse darüber vermittelt werde, wie überhaupt eine demokratische Gesellschaft funktioniert.

Die Weihe von viri probati - verheirateten Männern mit stabiler Ehe und einer entsprechenden Ausbildung - ist eine Möglichkeit, dem Priestermangel abzuhelfen. Dies ist in den Diözesen lange überlegt worden, und es gibt an mehreren Orten viri probati (aber das sind Ausnahmen - Rom will weiterhin an der Zölibatsforderung für die Priester der Kirche als Regel festhalten) . Das Problem mit den viri probati, sagt Jan Kerkhofs lakonisch, ist, daß man sich dabei auf ältere Männer stützen muß, und das beseitigt den Priestermangel auf längere Sicht nicht. Stützt man sich auf jüngere verheiratete Männer, kann man ja das Risiko eingehen, daß sich plötzlich eine Scheidung ereignet.

Welche Konsequenzen würde eine allgemeinere Ordnung mit viri probati haben, wenn sie die Möglichkeit eröffnet, verheiratete (und dispensierte) Priester ihr Amt wieder aufnehmen zu lassen ? Nominell werden sie da viri probati, aber sie haben ja schon die Priesterweihe!

Jan Kerkhofs bezieht auch die Ordnung ein, die wir von der orthodoxen Kirche kennen, wo man im gewöhnlichen Priesterdienst verheirateter Priester sein kann; soll man aber Bischof werden, so muß man als Priester im Zölibat gelebt haben. Könnte man eine solche Ordnung in der römisch-katholischen Kirche einführen?

Diakone haben an vielen Orten einen Teil des Priesterdienstes übernommen, auch während der Gottesdienste. Aber hier warnt Jan Kerkhofs sehr davor, in eine Sackgasse zu geraten. Diakone können die Priester entlasten, aber sie können sie nicht ersetzen.

Die Lösung, von der Jan Kerkhofs vorschlägt, daß man sie endlich ernst erwägen muß, sind weibliche Priester auch in der römisch-katholischen Kirche. Er rechnet damit, daß die weltumspannenden Implikationen, die eine Einführung der Priesterweihe für Frauen in der römisch-katholischen Kirche haben würde, einen Konzilsbeschluß benötigt. Dies könnte in sehr ferner Zukunft sein. In diesem Zusammenhang zieht Jan Kerkhofs Erfahrungen mit weiblichen Priestern in den nordischen Ländern heran, wo er merkte, daß erfahrene katholische Geistliche sich positiv über die Ordnung mit weiblichen Priestern in den lutherischen Schwesternkirchen äußerten.

Als Schritt auf dem Weg zu weiblichen Priestern muß die Kirche nun die Ordnung mit weiblichen Diakonen einführen. Eine solche Ordnung würde keinen Konzilsbeschluß benötigen! Dies könnte schnell gehen!

.....

Jan Kerkhofs meint, daß die römisch-katholische Kirche an einem Wendepunkt - einem wichtigen Wendepunkt - stehen wird. Die Situation mit dem großen Priestermangel ist unhaltbar, und die Kirche ist genötigt, in neuen Bahnen zu denken, mit größerer Kreativität und in ökumenischer Richtung. Die Mitarbeit der Laien im Gemeindeleben und in der kirchlichen Verwaltung ist notwendig. Auch wenn Rom versucht, die Mitbestimmung der Laien zu beschränken, kann man die Zeit nicht zurückschrauben. Die Zusammenarbeit zwischen dem Klerus und den Laien ist für die Zukunft der römisch-katholischen Kirche notwendig. Darauf kommen wir im nächsten Artikel in Verbindung mit einem Dokument aus Rom über diese Zusammenarbeit zurück

(Fortsetzung in der nächsten Nummer).

Übersetzung: Friedrich Griess