Kritische Stellungnahme zur Norweger-Bewegung

von Manfred Meitzner, Vechelde, und Dorothea Strauß-Hägele, Böblingen

Quelle: Materialdienst der EZW 3/90

(die beiden Autoren stellen zunächst die "Norweger" christlichen Kommunitäten (Orden) mit ähnlich strengen Lebensregeln gegenüber. Dann heißt es aber:)

Doch sind da vor allem zwei Punkte, die die "Norweger" eindeutig in die Ecke des "Sektiererischen" rücken:
1. ihr Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft und
2. gewisse Einseitigkeiten bzw. Übertreibungen hinsichtlich das Erlösungsverständnisses.

(1) Um nochmals auf die kirchlichen Kommunitäten etc. zu sprechen zu kommen: Sie machen die Glaubens- und Lebensform, die für sie selbst verbindlich ist, nicht zum Maßstab für die ganze Christenheit; folglich sprechen sie anderen Gemeinschaften und Kirchen die Christlichkeit nicht ab. Hier fehlt also jene grobe alternative Denkstruktur und Schwarzmalerei, wie sie bei den Norwegern so ungut in Erscheinung tritt. Was sie leben, ist eine Herausforderung, ein positiver Impuls für die Christenheit und Dienst an der Kirche. Bei den Norwegern dagegen greifen Vorwürfe wie "Separatismus", "Isolation", "in sich geschlossenes Lebenssystem", "Flucht in eine Gegenwelt und Gegenkirche", "Elitedenken" durchaus, und dadurch bekommt das Erscheinungsbild negative Züge und erweckt Opposition. Auch ist leicht einsichtig, daß solch separatistische Haltung immer wieder zur Herrschaft der Leitenden führt - sie bleiben, wenn andere Führer resp. Normen wegfallen, als die einzigen Autoritäten übrig. Das führt auch zu einem zwar nicht bezweckten doch faktischem Gruppenzwang: die Umklammerung des einzelnen durch die Gruppe. Wenn das anläßlich des Wiener Prozesses wiedergegebene Zitat "... wer einmal von uns weggeht, der kann im Leben nie wieder etwas Positives tun" korrekt ist, - und es besteht kein Grund, dies von vornherein zu bezweifeln, dann dokumentiert sich darin der exklusive Heilsanspruch einer Glaubensgemeinschaft. Die Folgewirkung ist doppelt: Zerstörung der übergreifenden menschlichen und kirchlichen Gemeinschaft und Reduktion der Freiheit und Kreativität des einzelnen. Beides ist dem strikt entgegengesetzt, was Jesus als das Leben in seiner Gemeinde (Kirche) geboten und verheißen hat.

(2) Der zweite Punkt betrifft das einseitige Verständnis der Heiligung. Sie ist Gottes Wille, wie der Apostel Paulus im 1. Thessalonicherbrief ausweist (4, 1-8); ihr sollen wir "nachjagen" (Hebr 12, 14), nämlich einem christlichen Leben, das dem neuen Heilsstand entspricht, in dem der Geist Gottes überall wirken kann (1 Petr 1,2): "Heiligung durch den Geist"). Allein, bei den Norwegern bedeutet Heiligung nicht Konzentration auf Jesus Christus und auf das durch ihn von Gott geschenkte neue "Leben im Heiligen Geist", sondern die fortwährende Konzentration auf die Sünde: die zu erkennen, bis in ihre verborgenen Wurzeln aufzuspüren und zu überwinden eine bleibende Aufgabe des Gläubigen sein soll. Das aber bedeutet den ständigen Kampf wider die Sünde als eine geforderte Leistung, und dies entspricht nun wiederum keineswegs dem Evangelium von der Erlösung und von der uns gnadenhaft geschenkten "Freiheit eines Christenmenschen". Die Devise: "das eigene (sündige) Leben bis in den Tod hassen" zeigt eine ganz unbiblische, gespannte Haltung dem kreatürlichen Leben gegenüber an. Wenn das charakteristische Merkmal des Wirkens des Heiligen Geistes - des Geistes Christi - darin besteht, daß er befreit und eint (E. Schweizer), dann wird dies bei den Norwegern gerade nicht gelebt. So kommt eine neue Gesetzlichkeit zum Tragen, die subtiler ist als jene in wirklich gesetzlichen Religionsgemeinschaften, weil sie sich selbst verleugnet. Und dies ruft die Kritik der übrigen Christenheit wie auch der modernen Gesellschaft hervor, die auf Freiheit. Offenheit und Entfaltung der kreativen Kräfte der Einzelpersönlichkeit hin angelegt sind.