Smiths Freunde - Erinnerungen und Reflexionen.

Ein persönlicher Rückblick von einem, der 1972 den Ausstieg wählte.

Johan Velten

April 1992

Inhalt:

1. Einleitung
2. Begriffserklärung
3. 18. September 1991
4. Die große Vertrauenskrise
5. Erinnerungen an Stockholm
6. "Draußen" sein
7. Säuberungen und Schicksalswahl
8. Angst und Unsicherheit
9. Die Idee und Kultur der Gemeinde
10. Gemeindemythen und Wirklichkeitsflucht
11. Die schwere Lebenssituation der Frauen
12. Die Smiths Freunde im Jahre 1992
13. Die Welt der Möglichkeiten
Epilog

* * *

1. Einleitung.

Heuer sind es 20 Jahre, daß ich de facto die Gemeinde verließ. Mit Rücksicht auf die Verwandten und auch auf mich selbst ging ich noch eine Zeitlang zu einigen Versammlungen. Seitdem meine Schwiegermutter Torbjørg Jensen 1973 gestorben war, war ich jedoch auf keiner Versammlung mehr gewesen, außer man sieht Begräbnisse als Versammlungen an.

Nach dem Begräbnis meines lieben Bruders Arne am 18.9.91 spürte ich die Notwendigkeit, meine Ansichten über die Gemeinde zu ordnen. Beim Treffen in der Klemetsrud-Kapelle, draußen auf dem Friedhof und in den darauf folgenden Stunden in der Ryenstubbe 2 traf ich wieder Menschen, die in meinem Leben eine Rolle gespielt hatten. Die alten Zeiten passierten vor meinem inneren Blick Revue, und in der Zeit nach dem Begräbnis habe ich nun meine Gedanken und Gefühle in ein System gebracht.

Auf den folgenden Seiten sehen Sie das Ergebnis meiner "Sortierarbeit". In erster Linie habe ich diese Notizen für mich selbst geschrieben, jedoch gleichzeitig daran gedacht, Sie ebenfalls zum Lesen einzuladen. Ich hoffe, Sie finden dies des Lesens wert.

Nichts ist statisch. Ich bin heute nicht derselbe, der ich gestern war. Erlebnisse, Erfahrungen und Ideen formen meine Gedankenwelt und damit meine Vorstellungen von der Wirklichkeit und meine Handlungen. Diese Notizen sind als ein Augenblicksbild meiner selbst zu verstehen. So sehe ich und fasse die Welt hier und jetzt auf. Wenn wir einander das nächste Mal treffen - sei es in einem Monat oder in 10 Jahren -, dann hat mich vermutlich die Welt und das Leben verändert, sodaß ich Teile der Themen in diesen Notizen anders sehe. Vielleicht schwärzer, vielleicht farbiger und nuancierter.

Wie der Titel andeutet, sind diese Notizen eine Zusammenfassung der Erinnerungen, Reflexionen und Gefühle. Deshalb sind natürlich Teile davon von Gefühl geprägt. Dies ist nicht als Streitschrift zu betrachten, sondern eher als Memoiren. In Teilen der Notizen werden Sie vielleicht eine Enttäuschung und Bitterkeit gegenüber der Organisation und der Führung erahnen, während Sie in anderen Teilen meine positiven Erinnerungen an Einzelpersonen merken werden. Es kann auch sein, daß meine Sprache und meine Wortwahl etwas fremd wirkt, aber ich hoffe, daß dies auf die Kommunikation nicht blockierend wirkt. Ich habe mich bewußt für einen Sprachstil entschieden, den ich als den meinen erlebe, und von dem ich hoffe, daß er sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinde verstanden wird.

Ich erwarte nicht, daß Sie meine Sicht und meine Gedanken auf allen Gebieten teilen. Da hätte es keinen Grund gegeben, diese Notizen zu schreiben oder sie Ihnen mitzuteilen. Unterschiede in Gedanken und Auffassungen sind eine Voraussetzung dafür, einander bereichern zu können. Es ist meine Hoffnung, daß mein Bild dazu beiträgt, daß Ihr Bild bereichert wird, und daß Ihre Ansichten mein Bild bereichern können. Dies ist eine gute Grundlage, um nicht zu sagen, eine Voraussetzung, damit wir wertvolle Gespräche führen können, wenn wir einander treffen. Manches, was ich schreibe, wird Ihnen vielleicht wehtun. Das war nicht beabsichtigt. Aber ich glaube auch, daß Sie auf Grund eigener Erlebnisse zu Teilen meiner Notizen anerkennend nicken werden, selbst wenn Sie nicht Lust gehabt haben, diese Gedanken mit anderen zu teilen.

Die vergangenen 20 Jahre haben ihre Spur hinterlassen, aber beim Begräbnis meines Bruders erlebte ich, daß der Kontakt noch immer bestand. Also muß es da echte Freundschaft gegeben haben !

2. Begriffserklärung

Das Wort "Gemeinde" wird in sehr verschiedener Bedeutung benützt. Es kann die Ideengrundlage oder die Organisation sein, oder es kann die Bezeichnung für die höchste Geisteselite sein. Ohne Präzisierung der Begriffe ist es wenig wahrscheinlich, daß wir miteinander kommunizieren können. Deshalb beginne ich damit, einige Begriffe zu erklären.

Die Ideengrundlage ist ein Ausdruck, den ich benütze, die geistige Grundlage zu erklären, welche in historischer Sicht eine Gruppe von Menschen sammelte. Wenn wir diese Ideengrundlage auf zwei Punkte zurückführen, so könnten es die folgenden sein:

1) positive Entwicklung seiner selbst (Heiligung)

2) Sorge für die anderen und die Gemeinschaft

Die Organisation oder die Gemeinschaft "Gemeinde" wird als Bezeich- nung für die gebraucht, welche regelmäßig Treffen und Versammlungen besuchen und sich nach den Normen kleiden und verhalten. Manchmal versteht man darunter im engeren Sinn jene, welche die "richtigen" Haltungen demonstrieren und ansonsten in einer Weise auftreten, welche der Leitung annehmbar erscheint.

Das bedeutet "mitsein".

Die Geistes-Elite ist eine andere Bedeutung des Wortes "Gemeinde" und wird in Großen und Ganzen in dem Sinn gebraucht wie die 144.000, welche nach der Offenbarung des Johannes von der Welt erkauft sind.

Diese drei verschiedenen Bedeutungen des Wortes "Gemeinde" und der Umstand, daß sie nicht formell organisiert ist, schaffen Verwechslungen und Probleme, wenn wir gemeinsam über die Freuden und Sorgen sprechen, die an die Gemeinschaft geknüpft sind. Zum Beispiel könnte jemand behaupten, daß die Gemeinde von Friede und Verträglichkeit geprägt ist. Falls wir dabei von der Gemeinde als Organisation sprechen, so ist das entschieden falsch. Die Organisation ist und war immer von Machtkämpfen geprägt, entweder im Verborgenen oder auch offen. Die allermeisten Einzelpersonen sind jedoch friedlich und verträglich.

Darauf habe ich einige Mitglieder hingewiesen, wenn diese über die Unfehlbarkeit der Gemeinde als Gemeinschaft sprachen. Ich habe auf konkrete Beispiele eines nichtvorhandenen Idylles hingewiesen, und die Antwort war, "da sind diese nicht von der Gemeinde". Die, welche Streit und Spaltung hervorrufen, gehören also nicht zur Geisteselite. Mit den vielen unterschiedlichen Definitionen des Wortes "Gemeinde" kann man daher immer eine Definition finden, die den Glauben an die Unfehlbarkeit untermauert.

Die Mitgliedschaft in der Gemeinde wird ausgedrückt durch "Mitsein", oder noch besser, "ganzherzig mit". Dies beruht gerne auf sichtbarem Engagement in Form von Reden, Gesang oder Ablegen von Zeugnis bei den Versammlungen. In manchen Situationen wird dies jedoch mehr räumlich verstanden, wenn zum Beispiel davon gesprochen wird, daß die Kinder der "Freunde" "mitsind", wenn sie auch niemals in irgend einer Weise aktiv mitgetan haben. Ein andermal werden dem "Mitsein" ganz andere Kriterien zugrunde gelegt - nämlich inwieweit man genügend eindeutig in der Abweisung des Gedankens ist, es könnte sich in anderen christlichen Gemeinschaften etwas Gutes finden.

Sollte man jedoch soweit gehen, zu sagen, die Gemeinde könnte von anderen christlichen Gemeinschaften viel zu lernen haben, dann würde die informelle Mitgliedschaft sofort gestrichen werden. Das wären ketzerische Gedanken.

Die Mitgliedschaft in der Gemeinde wird dadurch bezeichnet, daß man sich beugt. Im Ausgangspunkt heißt es "sich vor Gott beugen" und weist auf die symbolische Handlung hin, die seit Urzeiten in allen Kulturen bekannt ist: niederzuknieen oder sich im Gebet zu einer höheren Macht zur Erde zu beugen.

Wenn man einige Zeit in der Kälte draußen war, weil man etwas gesagt hatte, was bei den Machtpersonen nicht in gute Erde fiel, kann neue Mitgliedschaft nur dadurch erlangt werden, daß man sich vor den Leitern beugt. Dies geschieht dadurch, daß man die Gedanken und Ideen aufgibt, für die man begeistert war, und in voller Öffentlichkeit akzeptiert, daß der Leiter die entscheidende Macht hat. Es ist die Macht (und die angemaßte Kompetenz), die Wirklichkeit zu beschreiben. Mitgliedschaft verschafft man sich also dadurch, daß man sich vor Gott beugt, während die Rehabilitation dadurch geschieht, daß man sich vor der Macht beugt, gerne dargestellt durch Sigurd Bratlie oder andere, die seiner Familie angehören oder in sie eingeheiratet sind.

Ich erwähnte die Anzahl 144.000, die ja sowohl eine große als auch eine kleine Zahl ist. Sie ist allzu groß, als daß sie auf jene hinwiese, die jeden Sommer Brunstad besuchen (der Versammlungsort außerhalb von Stokke in Vestfold). Gleichzeitig ist die Zahl allzu klein, als daß sie alle umfassen könnte, die im Laufe der Zeit, vom Jahr 0 bis heute, gottesfürchtige, sich selbst aufopfernde und gute Menschen waren.

Die Anzahl der Besucher im Laufe der Zeit, die nicht "abfielen" oder vor ihrem Tod in Ungnade fielen, kann kaum größer als etwa 10.000 Menschen sein, vielleicht bedeutend weniger. Daher muß es jemand außerhalb der Smiths Freunde geben, der zur "Gemeinde" gehört, aber es wird für undenkbar gehalten, daß dies jemand von einer anderen christlichen Gemeinschaft zum Beispiel in Oslo sein könnte. Oder in Drøbak, oder Brevik. - Wo könnten wohl die sein, die auf 144.000 "noch fehlen" ? Vielleicht in weit entfernten Ländern, aber auch das wird eigentlich für wenig wahrscheinlich gehalten !

Der folgende kleine Witz ist für die Ansicht der Gemeinde bezeichnend: Sankt Peter empfängt einen neuen guten Christen im Paradies und wendet ein wenig Zeit auf, um ihn herumzuführen. "Und hier", sagt Sankt Peter, indem er mit der Hand auf einen Raum zeigt, "das sind die Pfingstler". Im nächsten großen Raum präsentiert er die Heilsarmee, usw. Als sie um die nächste Ecke gehen, sagt Sankt Peter: "Pst ! - hier dürfen wir nicht stören ! Das sind die Smiths Freunde, und die glauben, sie sind alleine hier".

3. 18. September 1991

Die kleine Kapelle auf dem Friedhof von Klemetsrud war überfüllt von Freunden meines lieben Bruders Arne - samt einigen, welche die Leitung repräsentierten. Ich gehe davon aus, daß es ihre Aufgabe war, daß alles richtig ablief. Es war eine stille, verdichtete Atmosphäre von Feierlichkeit und Trauer. Das Leben ist kurz, aber Gelegenheiten, im Alltag einander zu erleuchten, gibt es viele. Durch anscheinende Zufälle hatten Arne und ich einander in den letzten Wochen den Alltag ein wenig erleuchtet. Er sandte mir ein kleines Gedicht, das der Beginn eines bereichernden Briefwechsels in seinen 2 - 3 letzten Lebenswochen wurde. Eines Briefwechsels, der uns beiden viel bedeutete.

Die blumengeschmückte Kapelle auf Klemetsrud, die Anwesenheit meiner lieben Neffen und Nichten und das Wiedersehen mit Freunden, die ich 20 Jahre nicht gesehen hatte, wurden für mich ein ungewöhnlicher Höhepunkt. Es war ein Gefühl der Nähe, des Kontaktes, der Freundschaft und der Gemeinsamkeit. Die Jahre, die vergangen waren, hatten uns nicht voneinander entfernt ! Wir kannten einander noch immer !

Trygve Olsen hielt das Begräbnis, auf den ausdrücklichen Wunsch meines verstorbenen Bruders. Gleich wie Trygve Olsen war Bruder Arne ein begeisterter Christ. Man konnte die geistliche Verwandtschaft zwischen den beiden deutlich erkennen. Trygve Olsen's Ansprache war erfüllt von Ehrfurcht gegenüber dem Verstorbenen, von Respekt vor dem Leben, und von Hoffnung für die Ewigkeit. Mit Wissen und Weisheit drang seine Ansprache bis zu meinem Herzen und schuf einen schönen Rahmen für diesen feierlichen Augenblick.

Diese wahrhaftig feine Stimmung von Feierlichkeit und Trauer fand draußen am Friedhof ein jähes Ende. Als Repräsentant der Leitung stand Bernt Stadven dort und rief einige inhaltslose Worte über die Volksmenge, gefolgt von einer Einladung nach Ryenstubbe 2. Die Gebrauchsanweisung schien zu lauten, daß eine laute Stimme mit einem starken Leiter gleichbedeutend ist. In der Gesellschaft ist es übrigens im Großen und Ganzen eine akzeptierte Auffassung, daß der Inhalt von dem, was man sagt, wichtiger ist als die Form. Ich erinnerte mich an Bernt Stadven als eine gutwillige, aber unbeholfene und charmelose Person. Nun schien es mir, als ob ein eiskalter Unterton in seine Stimme gekommen wäre.

Im Bewußtsein um Trygve Olsen's bescheidene Position in der Versammlung wunderte ich mich über die Art und Weise, wie die Gemeinde ihre Begabungen nützt. Eine geistliche Kapazität von seinem Format wird an einer Stelle in der Versammlung verborgen, wo er auf niemanden Schatten wirft. Bernt Stadven steht dagegen vorne mitten in der Sonne, aber sogar dort wirft er keinen Schatten.

Nach der Gedächtnisfeier in der Ryenstubbe 2 schweiften meine Gedanken zu einem Jännertag im Jahre 1982. Das Begräbnis meines Vater in der Kirche von Koppang war mein erstes Zusammentreffen mit der Gemeinde nach dem Bruch im Jahre 1971. Damals war es mehr als 10 Jahre her, daß ich Sigurd Bratlie zuletzt sprechen gehört hatte. Als Leiter der Gemeinde war er natürlich der Mittelpunkt beim Begräbnis meines Vaters. Ich hatte mich auf diese feierliche Stunde gefreut, aber Bratlie's Ansprache wurde für mich eine Enttäuschung. Ich hatte faktisch alles vorher gehört. Nichts deutete darauf hin, daß er in den letzten 11 Jahren einen einzigen neuen Gedanken gedacht hätte !

Der oberste Chef der Gemeinde, des Geistlichen Israel, Gottes auserwählten Volkes auf Erden, der 144.000, der Braut usw., hatte uns an diesem Tage nichts anderes anzubieten als endloses Vorlesen von Bibelworten, vermischt mit einigen alten Klischees - ohne eine Spur von Einfühlung oder Inspiration.

4. Die große Vertrauenskrise.

Es war ein vorläufiger Höhepunkt im Leben eines Kleinbauernsohnes aus Koppang, im Alter von 14 Jahren nach Oslo zu kommen und an der Gemeinde teilzunehmen. Es lag ein Hauch von "Hauptstadterlebnis" darin - wenn auch der Kontakt mit Jugendlichen aus Oslo etwas beschränkt war. Auch in der Gemeinde war es kein besonderes Fest, 1961 zur Stadtjugend von Oslo zu gehören. Aber an den Versammlungen teilzunehmen war ein großes Erlebnis. Besonders spannend war es bei den Treffen mitten in der Woche, wo Elias Aslaksen aus Hønefoss gewöhnlich der Hauptredner war. Er war eine charismatische und humorvolle Person, der sowohl begeistern als auch mit Raffiniertheit rügen konnte. Die Pfingstler in Filadelfia quer über die Straße waren das Lieblingsopfer seiner Rhetorik, die sowohl unterhaltend war als auch zum kollektiven Selbstbewußtsein beitrug.

Elias Aslaksen war in all den Jahren seit dem zarten Beginn 1912 der nächste Mitarbeiter des Gründers gewesen. Auf viele Weise war er der eigentliche Chefideologe, der faktisch die Gemeinde mehr prägte als der Gründer selbst, Johan O. Smith.

Nach einem solchen Treffen mit dem Phänomen Aslaksen als Hauptattraktion gab es niemanden, der daran zweifelte, daß die Gemeinde die eigentliche Geisteselite hier auf Erden war. Keine andere christliche Gemeinschaft befand sich in der Nähe von wahrem Christentum. Was andere Versammlungen betrieben, war des Christentums reinste Parodie. Es war undenkbar, daß jemand dasselbe Niveau wie wir erreichen konnte, und besonders nicht das Niveau der "Ältestenbrüder".

Zu dieser Zeit hatte die Gemeinde eine These, daß man unmittelbar "in die Wolken" entrückt würde, wenn man die Vollkommenheit erreicht hatte. Was die Ältestenbrüder betrifft, so wurde gesagt, daß ihnen so wenig auf eine solch erlösende Vollkommenheit fehlte, daß es höchst unsicher war, ob Aslaksen am nächsten Donnerstag noch hier in diesem Jammertal sein werde. Vielleicht war das Wunder schon geschehen. Da mußten wir uns in einem solchen Falle selbst erbauen und uns darüber freuen, daß wir zur gleichen Mannschaft gehörten.

Der Leiter der Gemeinde von Oslo, Edwin Bekkevold, hielt sich systematisch von diesen Versammlungen fern. Wenn Aslaksen in der Stadt war, hieß das gleichzeitig, daß Bekkevold nicht zur Versammlung kam. Es fiel mir auf, aber ich fand keine Erklärung dafür. Vom Rednerpult aus wurde betont, daß es in der Gemeinde keinen Machtkampf hinter den Kulissen gäbe. Wir haben keine Kulissen - Halleluja! Als ich später merkte, daß Edwin Bekkevold auch an den jährlichen obersten Leitungstreffen im Juni auf Torsteinslåtta nicht teilnahm, wurde ich etwas unsicherer bezüglich DER GROSSEN EINIGKEIT.

Ich merkte auch ziemlich früh, daß Sigurd Bratlie keinen Widerspruch ertrug. Ein Beispiel dafür war das Brüdertreffen in der Vogtsgate 35, wo Bratlie über Onanie sprach. Hier behauptete er, daß Onanie zu Geisteskrankheit führen könne. Eine Woche später gab es ein weiteres Brüdertreffen in V 35, und hier begann Enok Hansen zu erzählen, daß er das Psychologische Institut der Universität Oslo aufgesucht habe und daß man dort einen Zusammenhang zwischen Onanie und Geisteskrankheit entschieden zurückgewiesen habe. Es gab in der Tat kein einziges Beispiel. "Es kann gut sein, daß dies nicht wissenschaftlich bewiesen ist", sagte Sigurd Bratlie, "aber Onanie kann niemals zu ernst dargestellt werden". - "Meine Meinung zu diesem Thema", sagte Enok Hansen, "ist, daß das, was wir sagen, haltbar sein soll und nicht auf Mythen gegründet sein darf".

Es war mehr als deutlich, daß es Sigurd Bratlie nicht gefiel, dieses Wortduell verloren zu haben, und daß die Beziehung zwischen Sigurd Bratlie und Enok Hansen nicht mehr so herzlich war.

Seitdem gab es mehrere heftige Diskussionen zwischen den beiden Leitern, unter anderem eine spitzfindige Auslegungsfrage aus dem Galaterbrief über "so daß auch Barnabas durch ihre Heuchelei verführt wurde". Das einzige, was ich von dieser Diskussion verstand, war, daß sich ein Machtkampf zwischen diesen beiden entwickelte. Auf der einen Seite stand in diesem Kampf der intellektuelle Sohn des legendären Thorleif Hansen, der von Edwin Bekkevold als Erbe des Leiterjobs in Oslo ausersehen war. Auf der anderen Seite stand der machtgierige jüngste Sohn vom Bratlie-Hof, der durch seine Ehe mit Rachel Smith - der Tochter des Gründers - sich in der Gemeinde eine Position geschaffen hatte.

Um 1965 begann ich ernstlich Böses zu ahnen, was die Leiterrolle von Sigurd Bratlie betraf. Zu Beginn einer öffentlichen Versammlung las er einen privaten Brief von Jonas, dem Sohn von Edwin Bekkevold, vor, mit der Angabe, von wem der Brief war. Der Brief war eine persönliche Schrift, die von Jonas' großer Sorge um die Leitung, die Ordnung und die Entwicklung in der Gemeinde handelte. Zum Schluß präzisierte Jonas, daß dies ein privater Brief sei, von dem er hoffe, daß er zu einem persönlichen Gespräch mit Sigurd Bratlie über das Thema führen könnte.

Sigurd Bratlie fand es also richtig, diesen Brief bei einer öffentlichen Versammlung laut vorzulesen, um dann den Mann so niederzuhobeln, daß er in seine Gemeindeordnung passe. Die Brutalität und der Machtübergriff hinterließen in mir eine unauslöschliche Spur. Ich fand heraus, daß es klug wäre, Sigurd Bratlie genau zu folgen. Es gab offenbar keinen Grund, diesem Mann zu vertrauen - nicht einmal ein konfidenter Brief war etwas, was er als Leiter handhaben konnte.

Ich versuchte herauszufinden, ob ein geistlicher Leiter nicht zum Schweigen verpflichtet wäre in Angelegenheiten, die ihm in seiner Eigenschaft als Leiter zur Kenntnis gebracht wurden. Ich suchte Fachvereinigungsleiter bei der Arbeit und Kirchenleiter der Inneren Mission auf, aber ich fand keine Antwort. Aber mein Zutrauen zu Bratlie hatte seinen ersten Sprung bekommen.

Jonas Bekkevold wurde in die äußerste Finsternis hinausgestoßen und durfte nicht mehr bei den Versammlungen sprechen. Aber dieser mutige Mann wußte Rat: er benützte die Gelegenheit, sich in der Gebetsstunde zu Beginn und am Schluß der Versammlungen bemerkbar zu machen. Mit seiner Posaunenstimme machte er sich noch einige Wochen lang stark bemerkbar, bis ihm auch das Beten verboten wurde.

Diesen Mann mußte man zum Schweigen bringen.

Hätte man ihm erlaubt, weiterhin seine Ansichten auszudrücken, so liefe ja die Leitung in Gefahr, ihren eisernen Griff um die Versammlung zu verlieren. Sie haben natürlich über die schicksalsschweren Folgen gelesen, als ein Kind bemerkte, daß der Kaiser nackt war ! Mit diesem einfachen Wort eines Kindes wurde es unmöglich, den Betrug weiterleben zu lassen.

Im Herbst 1968 bekam mein Zutrauen zu Bratlie den entscheidenden Sprung. Mein höchst beliebter Bruder Arne stand bei einer Versammlung auf und sagte ungefähr folgendes: es dröhnt in meinen Ohren, wenn man in herablassender Art über "diese Religiösen" spricht. Hier wird so geredet, als ob wir in der Gemeinde die einzigen wirklichen Christen wären. Ich bin überzeugt, daß wir uns mit dieser Redeweise selbst betrügen. Am TAG DES JÜNGSTEN GERICHTES werden wir, glaube ich, viele Überraschungen erleben. Viele, von denen wir glaubten, daß sie "der Braut" angehören, werden nicht da sein, während andere, die anderen christlichen Gemeinschaften angehören, zu unserer großen Überraschung vielleicht einen hervorragenden Platz am Tisch des Meisters bekommen werden. Darauf nahm er seiner Gitarre und sang mit kräftiger Stimme:

"Er wird das Perlentor öffnen, damit ich hineinkommen kann".

Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. In groben Worten erhielt er Bescheid von Sigurd Bratlie, daß dies ganz unakzeptable Ansichten seien, ja reine "Hurerei". Zwei Tage später wurde Arne in seiner Wohnung von Sigurd Bratlie und Enok Hansen aufgesucht. In reinem Stasi-Stil ließen sie ihn verstehen, wo sich die Macht befände und was ein passender Platz für "solche wie er" wäre - das war im Schweigen nächst der Türe im Gemeindelokal "Haus des Sports". Da sie "die Salbung des Höchsten hatten und alles wußten", wäre es natürlich für diese beiden Herren zu schwierig gewesen, über die Wirkung auf die erschrockenen Kinder nachzudenken, welche im 2. Stock saßen und das Unheimliche im Hause mit anhörten.

Besonders interessant ist es, darüber nachzudenken, daß die beiden Kampfhähne, Enok Hansen und Sigurd Bratlie, bei dieser Untat gegen einen Ehrenmann gemeinsame Sache machten. Es sagt viel darüber aus, wie die Gemeinde für Machtmißbrauch und das völlige Fehlen von Nachdenken, Billigkeit, Vernunft und Fürsorge zurechtgelegt ist. Arne's "Verbrechen" bestand darin, daß er eine höchst beachtenswerte Überlegung in einer Versammlung vorgebracht hatte. Das Urteil wurde eigenmächtig bemessen und von Sigurd Bratlie bekanntgegeben, ohne daß jemand mit Einwendungen gekommen wäre.

Daß es niemanden gibt, der Verantwortung fühlt, einzugreifen und den Machtmißbrauch zu stoppen, ist eine grundlegende Schwäche der Gemeinde als Gemeinschaft. Alle schließen die Augen vor dem, was passiert, gerne unter Geringschätzung ihrer eigenen Urteilskraft. "Ich kann doch nicht den ganzen Zusammenhang verstehen, aber das tun sicher 'die Ältesten'"!

"Wen der Herr liebt, den züchtigt er", lautet ein Bibelwort, das für die Rechtfertigung des Machtmißbrauches fleißig benützt wird. Daß die "Ältestenbrüder" es als ganz natürlich ansehen, sich die Verantwortung dafür aufzuladen, diese Züchtigung in die Wege zu leiten, sodaß Gott es nicht tun muß, scheint niemanden zu bekümmern. Persönlich habe ich ein grundsätzliches Mißtrauen gegen Leiter, die von sich selbst glauben, daß sie an Gottes Stelle handeln. Sie meinen so große Vollmachten zu haben, daß das große Unglück sehr nahe bevorstehen kann.

Mitten in all dem Machtmißbrauch gibt es eine große Zahl wohlgesinnter, guter und loyaler Menschen, welche diese Verwüstungen mit sich geschehen lassen in dem Glauben, Gott stehe dahinter. Daß es in Wirklichkeit Menschen sind, welche diese Verwüstungen aus eigenem Antrieb anrichten, ist ein so erschreckender Gedanke, daß die meisten es vorziehen, ihn von sich zu schieben, ohne ihn fertigzudenken. Wenn sie dann bei der Versammlung hören: "Denke nicht - das verwirrt nur", dann werden sie weiter in ihrem Standpunkt gestärkt, "alles dem Herrn zu überlasen, der rechtfertig richtet". Damit sind sie frei von eigenen Versuchungen und können sich der Verantwortung entziehen, angesichts der Übergriffe einzugreifen, die ständig gegenüber Einzelpersonen begangen werden.

Feigheit und fehlende verantwortliche Handlungen von denen, welche den Machtmißbrauch sehen, werden in der Tat zu etwas Frommem umgemünzt. Man überläßt die Dinge nur dem, "der rechtfertig richtet". Daß der machtgierige Leiter das Leben vieler zerstört, ja vielleicht das ganzer Familien, ist etwas, mit dem wir eben leben müssen. Wir erkennen ja nur stückweise und unvollkommen !

Das erinnert mich an einen, der seine Hände wusch.

Als Folge einer gutplazierten und gut formulierten Bemerkung, die zu gesünderen Zuständen in der Gemeinde hätte beitragen können, wurde also mein lieber Bruder entthront und beinahe vernichtet. Daß er durch viele Jahre über diese Situation, in der er gelandet war, tief verzweifelt und zeitweise deprimiert war, schien niemanden zu bekümmern, am allerwenigsten Sigurd Bratlie. Mit seiner "Salbung durch den Höchsten" war er natürlich unfehlbar, und solange Arne vor ihm nicht aus Bewunderung seiner Ansichten auf dem Bauch lag, war es nur recht und richtig, daß er einsam, sorgenschwer und verzweifelt war.

Liebe und Fürsorge fallen nur jenen zu, die sich in unterwürfiger Bewunderung der Macht beugen oder die zur Familie Smith gehören. Ein Zeichen solcher Bewunderung kann es zum Beispiel sein, ihre Bilder auf einem bevorzugten Platz im Wohnzimmer aufzuhängen.

Die Bilder bekommt man in der Buchhandlung der Gemeinde zu kaufen.

Sigurd Bratlie's Behandlung meines Bruders Arne entfernte wirksam den letzten Rest von Vertrauen, den ich zu ihm als Leiter hatte. Aber es war nicht möglich, darüber mit irgend jemand zu reden, nicht einmal mit meinem lieben Bruder, der diese besonders unfreundliche Behandlung erfahren hatte. Ich mußte dies für mich behalten und nach und nach meinen eigenen Weg aus der Behinderung herausfinden. Arne starb in Unwissenheit darüber, daß es die Brutalität gegen seine Person war, die mir den letzten Rest von Vertrauen zur Gemeinde als Organisation nahm.

Die Geschichte zeigt, daß Macht verwirrt. In der Gemeinde ist Sigurd Bratlie vorläufig das extremste Beispiel von jemand, der sich durch seine eigene Macht verwirren ließ. Er hält sich selbst für eine Art Paulus der Gegenwart mit uneingeschränkten Vollmachten, und hat offenbar unbegrenztes Vertrauen zu seinem eigenen Urteilsvermögen.

Fundamentalisten sind gefährliche Leiter. Kombiniert mit fehlendem Einblick in die menschliche Psyche wird es gerne katastrophal.

5. Erinnerungen an Stockholm.

Die beste Zeit meiner Jugend waren die Jahre, die ich um 1966/67 in Stockholm verbrachte. Die Smiths Freunde hatten in Schweden niemals besonders Fuß gefaßt, aber die kleine Gemeinde, die sich um Erling Ekholt versammelt hatte, hatte klare Vorzüge: ein herzliches Verhalten und gute persönliche Kontakte waren die Eigenschaften, die ich schätzte.

Vielleicht war es deshalb, weil die Gemeinde so klein war, daß sie diese Vorzüge hatte ? Die Versammlungen mitten in der Woche fanden in einem dunklen kleinen Lokal ohne Fenster, auf Söder, statt. Das Lokal hatte Platz für etwa 20 Personen und war daher der Versammlung gut angepaßt. Das kleine Lokal trug zu einer verdichteten und spannenden Atmosphäre bei, wo Erling sich wirklich in Gesang und Ansprache entfaltete. Ich nahm eifrig teil und hatte große Freude an diesem Beisammensein. Soweit ich mich erinnere, war Erling Ekholt schon 1956 nach Stockholm gekommen, um "zu wirken". Im Laufe dieser 11 Jahre war nur eine einzige Familie dazugekommen, und die ganze Gemeinde bestand aus 10 - 12 Mitgliedern, hauptsächlich alleinstehende Damen mittleren Alters.

Die Sonntagsversammlungen wurden in einer etwas größeren Umgebung in der Kammakargatan im Zentrum von Stockholm abgehalten. Dieses Lokal faßte etwa 50 Personen und es entstand etwas viel Echo an den Wänden. Daß Erling unermüdlich fortfuhr, dieses große Lokal für die Sonntagsversammlungen zu mieten, wurde für mich ein Zeichen für den unbezwingbaren Glauben, daß eines Tages etwas geschehen und die Leute zu den Versammlungen hereinströmen würden. Nach einiger Zeit verstand ich auch, daß es für die Miete dieses großen Lokales eine historische Ursache gab. Indem ich die fragmentarische Information, die sich in der Stockholm-Gemeinde vorfand, in ein System brachte, verstand ich, daß es in diesem Lokal Traditionen gab, die lange vor Erling Ekholt's Zeit zurückreichten.

Arne Renger war ursprünglich die zentrale Gestalt der Versammlung in Stockholm gewesen. Er hatte eine Menge Arbeit geleistet, nicht zuletzt mit dem Liederbuch "Herrens Veier", das er ins Schwedische übersetzte und herausgab. Renger war eine selbstbewußte Person und der unbestrittene Leiter in Stockholm, der eine Anzahl Menschen für seine Versammlungen gewonnen hatte. Sigurd Bratlie brachte während des Krieges oder kurz nach dem Krieg auch ein oder zwei Jahre in Stockholm zu. Arne Renger betrachtete Sigurd Bratlie wohl als Freund, und er übersetzte in der Tat auch einige von Bratlies Themenheften ins Schwedische.

Nach einigen Jahren ergab sich jedoch ein großes Aber für Arne Renger; er beugte sich nicht mehr in unterwürfiger Bewunderung vor den "Brüdern". Dies wurde sein Verhängnis. Er wurde abgesetzt und aus der Gemeinde hinausgeworfen, zur großen Bestürzung für viele. Dieses Erdbeben führte dazu, daß nur eine kleine verschreckte Versammlung übrigblieb, als Erling Ekholt als "der Sonderbotschafter der Brüder" ankam.

Im klassischen Gemeindestil wurde Arne Renger zur Unperson, die man nicht erwähnen durfte. Wenn ich eine Frage über ihn stellte, gab es eine bedrückte Stimmung und einige ausweichende Antworten, welche zeigten, daß mit Arne Renger etwas nicht in Ordnung war. Ich bekam den Eindruck, daß seine persönlichen Defekte von einer so kompromittierenden Art waren, daß Renger selbst am besten damit gedient wurde, daß man ihn nicht erwähnte.

Erling Ekholt wurde beauftragt, in Stockholm Ruhe und Ordnung wiederherzustellen und die Gemeinde auf den Ruinen nach Arne Renger wieder aufzubauen. Oder waren es die Ruinen nach Sigurd Bratlie ?

Erling Ekholt's Ansprachen enthielten etwas mehr als nur das Herleiern von Bibelsprüchen, und dies gab den Versammlungen einen interessanten Inhalt, aber es half doch sehr wenig, neue Mitglieder zu gewinnen. Unter anderem erzählte er vom "Zeugnisgeben" an seinem Arbeitsplatz in der Bankgirozentrale. Dieses Zeugnisgeben ist eher dazu geeignet, die Leute abzuschrecken, als den Funken für die Grundlage der Idee zu zünden. Ich ahne einen möglichen Zusammenhang zwischen dem und dem Umstand, daß kaum neue Mitglieder "aus der Welt" geworben werden. Alles Wachstum geschah traditionell durch Ausnützen von Konfliktsituationen, Leiterproblemen und anbrechenden Spaltungen in anderen Versammlungen.

Mit anderen Worten: solchen Probleme, welche die Gemeinde nun im Jahre 1992 befallen.

Es bestand eine nahe und feine Beziehung zwischen Erling Ekholt und mir, beruhend auf gegenseitiger Achtung und Vertrauen. Die Gemeinschaft, die ich in diesen 1 1/2 Jahren in Stockholm erlebte, wurde für mich die beste Erinnerung, die ich von der Gemeinde habe. Ich leistete mein Bestes im Verhältnis zu dieser Gemeinschaft und wurde dafür reichlich belohnt.

Nach meinem ersten Aufenthalt in Stockholm (und teilweise Åbo) fuhr ich nach Hause, um den Wehrdienst abzuleisten und meine Jugendliebe Solveig Marie Jensen aus Kjelsås zu heiraten. Nach etwa einem Ehejahr beschlossen wir, nach Stockholm zu übersiedeln. In diese Stadt, an die ich so viele positive Erinnerungen hatte.

Kåre Smith (der Enkel von Johan O. Smith) und Sverre Riksfjord (Kåre's Jugendkamerad) waren einige Wochen früher nach Stockholm übersiedelt und wohnten im Keller von Erling und Asbjörg Ekholt in Huddinge.

Als wir mit meinen guten Erinnerungen im Sommer 1969 in Stockholm ankamen, waren unsere Erwartungen groß. Solveig und ich stürzten uns mit Begeisterung in die Gemeindearbeit. Die Wiedersehensfreude war groß und der frühere feine Kontakt mit den Mitgliedern der Gemeinde war in höchstem Grad zufriedenstellend.

Besonders erfreulich war es mit einigen finnischen Jugendlichen und einer neuen Familie, die sich der Gemeinde angeschlossen hatten. Es waren selbstbewußte Leute, die in die Versammlung frischen Wind brachten, mit neuen Tönen und neuen Liedern bei den Treffen. Die Samstagabende verbrachten wir oft bei dieser neuen Familie draußen in Bromma. Es war gesellschaftliches Beisammensein, mit engagierten Gesprächen und guter Musik. Die "Kinder" im Haus, 16 und 20 Jahre alt, spielten Geige und Cello auf einem für uns fremden musikalischen Niveau. Es war ein Zusammenhalt und eine Gemeinschaft, die Solveig und ich sehr schätzten.

Es war deutlich, daß Kåre Smith auf den feinen Kontakt neidisch wurde, den Solveig und ich mit den Mitgliedern der Gemeinde hatten, und auf das Vertrauen, das sie uns erwiesen. Bald war er daran, bei den Treffen um Platz und Popularität zu kämpfen. Das Kampfmittel waren meistens lange Ansprachen mit einem neurotischen, schrillen Unterton. - Es war, als ob das Echo von den Wänden in der Kammakergate 27 die Hohlheit seiner Ansprachen unterstreichen würde.

Nach einiger Zeit erschien mir dies mehr als peinlich, besonders mit Rücksicht auf die neue Familie, die dazugekommen war. Ich betrachtete sie als feine, nachdenkliche Menschen und ich wünschte so sehr, daß sie sich bei den Versammlungen wohlfühlen sollten. Kåre's leicht hysterischen Stil und fehlende Substanz erlebte ich als peinlich. Manchmal erschien mir dies als direkt negativer Beitrag zur Erbauung. Dies veranlaßte mich, mich mit ihm direkt in Verbindung zu setzen. Ich fand bald einen geeigneten Zeitpunkt für ein Gespräch unter vier Augen, bei dem ich ihm eine kleine konstruktive Rückmeldung über sein Auftreten bei den Versammlungen geben konnte. Ich erinnere mich, daß ich freundlich, aber deutlich darauf hinwies, daß der Inhalt seiner Ansprachen in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem Platz stand, den er bei den Versammlungen einnahm.

Ich erinnere mich, daß ich auch erwähnte, daß das Erheben der Stimme in der Tat Selbstzweck zu sein schien. - Als ob eine laute Stimme mangelnde Substanz verbergen könne. Kåre's Reaktion beschränkte sich fürs erste auf eine zitternde Oberlippe und ich rechnete damit, daß er darauf zurückkommen werde, wenn er sich wieder ein wenig beruhigt hätte.

Zu meinem großen Erstaunen wurde ich zu meinem alten Freund Erling Ekholt zitiert. In klaren Worten eröffnete er mir, daß ich mich nicht in etwas einmischen durfte, was Kåre und Sverre unternahmen. Diese überraschende Ermahnung, ohne jede Frage darüber, was geschehen war und wie ich die Sache sah, bewirkte in mir ein Erdbeben, das ein Wendepunkt in meinem Leben wurde.

Zu dieser Zeit war es Erling Ekholt noch nicht aufgegangen, daß Kåre Smith eine arge Unsitte hat, indem er kleine Veränderungen vornimmt, wenn er über Aussagen oder Ereignisse berichtet, sodaß es seinen Absichten dienen kann. Was er sagt, ist nicht direkt Lüge, da es einen Hauch von Wahrheit enthält, aber durch Änderung von Details, Drehen an Wörtern und einer etwas außerordentlichen Betonung wird die Aussage fehlerhaft. Das Ergebnis dieser kleinen Retuschen ist, daß er als das große Sonnenkind oder als der große Märtyrer übrigbleibt, während die anderen die Grausamen sind.

Auf diese Weise dichtet er der Umgebung die Schwächen an, die er selbst hat. Es sind die anderen, die unehrlich, machtgierig, neidisch und mißtrauisch sind. Der arme Kåre hat immer Pech, so daß er seit seiner Kindheit immer mit Leuten in Kontakt und in Konflikt kommt, die solche unguten Charakterzüge haben.

In der Psychologie nennt man soetwas Projektion; man beschuldigt die Umgebung für Dinge, die ein hervortretender Charakterzug bzw. -defekt seiner selbst sind. In der Sprache der Bibel heißt das: du siehst den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge merkst du nicht. Diese Paranoia hat Kåre zu einer ganz interessanten Beherrschungstechnik entwickelt, und da er so sehr von neidischen und machtgierigen Menschen verfolgt wird, ist es die große Aufgabe seines Lebens, Personenverfolgung zu betreiben. Gleichzeitig hat er ein Gefolge von Applaudierern um sich herum aufgebaut, sodaß er Rückmeldungen aus seiner Umgebung entgeht. Sverre Riksfjord war stets Anführer dieser Anhängerschaft, die seine Machtbasis hier im Leben ist. Wenn ich nicht falsch informiert bin, waren die Beherrschungstechnik und die Methode der Applaudierer insoferne erfolgreich, als Kåre nun Aussicht hat, oberster Leiter der Gemeinde zu werden, wenn Sigurd Bratlie einmal ausfällt.

Leider hatte Erling Ekholt damals diese Methode nicht erfaßt, doch habe ich Grund anzunehmen, daß er sie jetzt versteht - 20 Jahre zu spät! Mein Gespräch mit Kåre wurde vom Wunsch getrieben, die Gemeinde zu stärken, ergab jedoch für mich eine Rüge von Erling Ekholt. Das war eine so unvernünftige Handlung seinerseits, daß das gute Verhältnis zwischen uns für immer zerbrach. Wenige Monate später waren unsere Sachen gepackt und Solveig und ich kehrten nach Oslo zurück.

Als Kåre und ich einander das nächst Mal trafen, war es bei den Essenszelten in Brunstad. Er konnte mir da berichten, daß er, wenn ich mich ihm unterordnen und die gegen ihn erhobene Kritik zurücknehmen wollte, ein gutes Wort für mich bei Onkel Aksel (Aksel J. Smith) und vielleicht auch bei Onkel Sigurd (Sigurd Bratlie) einlegen würde. Dies war der dümmste Vorschlag, der mir bisher gemacht worden war. Hier und jetzt entschloß ich mich, die Gemeinde zu verlassen.

Dies wurde mein letzter Sommer in Brunstad. Meine grundlegende Furcht vor machtgierigen Geistespygmäen wurde entscheidend. Außerdem saß mir der Schock nach dem unfreundlichen Schicksal meines Bruders Arne noch immer in den Knochen. Ich wollte mich nicht einer gleichartigen Quälerei aussetzen.

Als es Erling Ekholt dann bewußt wurde, daß ich die Gemeinde verlassen hatte, schrieb er mir mehrere Briefe, in denen er versuchte, die Misere zu bereinigen. In meinem Antwortbrief schrieb ich mit schlecht verhohlener Bitterkeit, daß sein Versuch, die Dinge wieder ins Lot zu bringen, zwar schmeichelhaft sei, der Schaden jedoch unreparierbar. Das wurde der Schluß einer Epoche in meinem Leben. Von nun an mußte ich versuchen, ein neues Leben aufzubauen.

6. "Draußen" sein.

Nach den vielen Abstiegen war es chaotisch in meinem Inneren. Es gelang mir nicht, zwischen Gottesglauben, Gemeinde, Kindheitserinnerungen und Verwandten zu unterscheiden. Mit meinem grundlegenden Mißtrauen gegen die Leiter in der Gemeinde mußte ich die Gemeinschaft verlassen, und gleichzeitig fehlten mir wesentliche Teile der Plattform, auf der ich mein Leben aufgebaut hatte. Ich fühlte mich einsam, von Furcht erfüllt und unsicher.

Sobald es bekannt wurde, daß wir aufgehört hatten, zu den Versammlungen zu gehen, wurde jeder Kontakt sofort abgebrochen. Selbst unsere nächsten Freunde wandten uns den Rücken zu. Wir waren plötzlich "Unpersonen" und wurden behandelt, als ob wir aussätzig oder auf andere Art pestkrank wären. Unsere alten Freunde wagten wohl nicht, mit uns etwas zu tun zu haben, aus Furcht vor Rügen von der Gemeinde, still oder ausgesprochen. Im schlimmsten Fall konnten sie negativen Folgen für ihre "Karriere" in der Gemeinde ausgesetzt sein, wenn bekannt wurde, daß sie mit uns Kontakt hatten.

Der Kontakt, den wir hatten, nachdem wir zu Beginn der Siebzigerjahre die Gemeinde verlassen hatten, beschränkte sich auf zwei oder drei wohlgesinnte und nette Leute, die versuchten, uns "zurückzugewinnen". Um sie nicht zu verletzten, unterließ ich es zu sagen, daß uns das Angebot nicht sonderlich reizte.

In einer Hinsicht, formell gesehen, war es leicht, die Gemeinde zu verlassen. Gefühlsmäßig war es jedoch für uns beide sehr schwer. Wir, die wir so viele Freunde gehabt hatten, waren plötzlich ganz einsam. Wenn man in der Gemeinde aufgewachsen ist, hat man überhaupt keine Routine, mit Menschen umzugehen, die "draußen" sind. Im Alter von 25 Jahren mußte ich von vorne damit beginnen, die elementarsten Regeln und Gebräuche für den gesellschaftlichen Umgang mit gewöhnlichen Menschen zu lernen. Selbst so einfache Dinge wie in ein Restaurant essen zu gehen war etwas, was gelernt werden mußte.

Persönlich hatte ich bedeutende gefühlsmäßige und anpassungsmäßige Probleme während mehr als 10 Jahren, und noch immer habe ich meine schweren Stunden. Unter anderem, wenn ich jetzt diese Notizen schreibe.

Zurzeit fühle ich mich als einigermaßen harmonischer, aber einsamer Mensch. Trotz der Einsamkeit bin ich jedoch froh, daß ich die Gemeinde verließ und im Besitze meiner Vernunft bin. Besonders froh bin ich, daß wir damit unseren Kindern Bedingungen zum Aufwachsen bieten können, die der geistigen Gesundheit zuträglich und in der Gesellschaft, in der wir leben, normal sind. Gleichzeitig habe ich eingesehen, daß ich ein religöser Mensch bin, aber mein Glaube an Gott hat einen sehr privaten Charakter und ich spreche nicht mit anderen darüber. Meine Handlungen halten dazu nicht den notwendigen Qualitätsstandard.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, irgendwo zu Versammlungen zu gehen. Ein wichtiger Grund dafür ist, daß der Schrecken noch immer in meinen Gliedern sitzt. Ein- oder zweimal pro Woche an "erbaulichen Treffen" teilzunehmen, läßt die Leute sowohl die Vernunft als auch das Verantwortungsgefühl ausschalten. Sie sehen nicht die Übergriffe gegen Einzelpersonen und sie hören nicht, wie sie sich selbst um die Verantwortung bringen, die jeder Mensch dafür hat, bei solchen Zuständen einzugreifen.

7. Säuberungen und Schicksalswahl.

Daß wir so einfach aus der Gemeinde entkommen konnten, kann auch dadurch verursacht sein, daß wir für selbstbewußte Leute gehalten wurden. Wir konnten vielleicht, ebenso wie Jonas Bekkevold, in den Reihen Unruhe schaffen, indem wir zum persönlichen Nachdenken aufmunterten ! Ideen vorzustellen, die Sigurd Bratlie gegen den Strich gingen, wird immer Säuberungen zur Folge haben, mit Machtmißbrauch, der die Gedanken hin zum Kreml unter dem Breschnewregime führt. 1 Kor 5,13 ist in solchen Situationen sein Lieblingszitat: Schafft den Übeltäter fort aus eurer Mitte !

Die, welche als "Übeltäter" definiert werden, sind immer selbstbewußte Personen, die für seinen eigenmächtigen Führungsstil eine Bedrohung darstellen. Enok Hansen, der bis zur Mitte der Siebzigerjahre Leiter der Gemeinde in Oslo war, wurde zum Beispiel als einer der "Übeltäter" definiert, nachdem er kräftig gegen die selbstherrliche Führung Sigurd Bratlie's protestiert hatte. Nach einer Meinungsverschiedenheit über Leitungsfragen wurde er von Sigurd Bratlie brutal degradiert und aus der Gemeinde für immer ausgeschlossen. Enok Hansen hatte sich selbst dadurch kompromittiert, daß er sich als uneinig mit Sigurd Bratlie zeigte ! Es gab eine schwache Zustimmung zu Sympathieerklärungen für Enok Hansen und ein wenig Murren in den Winkeln über Bratlie's unzivilisierte Gewalttat gegen jemand, zu dem sie großes Zutrauen hatten, aber das Mißvergnügen verstummte überraschend schnell.

Systematische Verleumdung ist ein fleißig benütztes Mittel; es wurde in den Reihen geflüstert, daß mit Enok Hansen etwas nicht in Ordnung sei. - War mit ihm eigentlich schon die ganze Zeit etwas nicht in Ordnung gewesen? Denen, welche meinten, daß er eine unverdiente und unbillige Behandlung erhalten hatte, wurde mit Argumenten begegnet, daß er nur das Opfer seiner eigenen Politik geworden war. Enok Hansen war auch hie und da mit jemand ganz schön grob gewesen, und er hatte sich auch in Dinge eingemischt, die ihn nichts angingen.

Meiner Meinung nach war Enok Hansen einer der besten Leiter, welche die Gemeinde gehabt hatte. Er war selbstbewußt, nachdenklich, und verstand es, mit den Leuten zu sprechen. Er war ein Vorbild und ein Leiter, dem in der Gemeinde von Oslo großes Vertrauen und große Achtung entgegengebracht wurde. Trotzdem habe ich nur einen einzigen Menschen getroffen, der ihn verteidigte, nachdem er entthront worden war: Jonas Bekkevold. Auch Enok Hansen wurde umgehend zu einer Unperson, an dem irgend ein undefinierbares Ekel kleben blieb.

Zufällig traf ich Enok Hansen einige Jahre, nachdem er ausgeschlossen worden war. Es war ein neues starkes Schockerlebnis, zu hören, wie er umgehend isoliert wurde und fast ohne jeden Freund dastand. Die Furcht vor Sigurd Bratlie und seinen Säuberungsmethoden setzte eine wirksame Schranke gegen jeden Kontakt, selbst mit seinen nächsten Freunden. Das ist ja auch eine Art von Leiterwirksamkeit.

Jonas Bekkevold wandte sich schriftlich an das oberste Leitungsgremium in Torsteinslåtta mit dem Vorschlag, Hansen zu rehabilitieren, bevor es zu spät war. Der Brief wurde jedoch von Sigurd Bratlie unterschlagen und bei der Leiterversammlung überhaupt nicht erwähnt. Kurze Zeit später wurde auch Jonas selbst zur persona non grata erklärt.

Enok Hansen starb weniger Jahre nach seinem brutalen Ausschluß, im Alter von 65 Jahren, als zerbrochener und einsamer Mensch.

Es gab im Laufe der Jahre eine Reihe solcher Ereignisse. Die Wahl besteht zwischen Unterwerfung unter die Macht, oder groben Beschuldigungen und kränkendem Ruf ausgesetzt zu sein. Normale Umgangsformen, Höflichkeit, Billigkeit und Achtung vor der Integrität des Einzelnen sind völlig unbekannte Begriffe. Die äußerst wenigen Male, wo ich solche Ausdrücke hörte, wurden sie in negativer Bedeutung gebraucht: es ist Mangel an Eifer, der sich hinter solchen Ausdrücken verbirgt ! - Was ziemlich bald für einen Ausschluß qualifiziert, jedenfalls, wenn dies vom Rednerpult aus zum Ausdruck kommt.

Im klaren Licht des Nachhinein sehe ich, daß der Bruch zwischen Enok Hansen und Sigurd Bratlie die eigentliche Schicksalswahl für die Gemeinde bedeutete. Mit diesem Ausgang des Machtkampfes war das Schicksal der Gemeinde in Wirklichkeit besiegelt. Wäre zu diesem Zeitpunkt eine Wahl abgehalten worden, so hätte Enok Hansen wahrscheinlich die meisten Stimmen bekommen. Dies hätte der Gemeinde eine ganz andere Entwicklung geben können als die, welche wir zu Beginn der Neunzigerjahre sahen. Leider entschlossen sie sich, Sigurd Bratlie seine Verwüstungen fortsetzen zu lassen, und das, was wir jetzt sehen, ist vermutlich der Anfang vom Ende der Gemeinde als eine große, einheitliche Versammlung.

Die Gemeinde hatte die ganze Zeit über eine konsistente Handlungsweise gegen Leute, die mit den Leitern nicht 100 %-ig auf der gleichen Linie sind. Sie werden einer knallharten Behandlung ausgesetzt, um ihnen einen psychischen Knacks zu geben, sodaß sie sich entweder "einordnen" oder sich entschließen zu gehen. Die sich "einordnen", befinden sich natürlich auf niedrigem Niveau, während die, welche gehen, Gegenstand von indirekter Verleumdung werden. Der Wechsel zwischen Machtmißbrauch und massivem Mangel von Sorgfalt ist gravierend.

"Alles gereicht dem zum Guten, der Gott liebt" ist ein Zitat, das benützt wird, um die Misere zu vertuschen. Wenn nun jemand psychisch gebrochen wird und ihm die unfreundliche Behandlung nachweislich nicht guttut, ist das also ein schlagender Beweis dafür, daß er Gott nicht in genügendem Grade liebt. - Was können wohl wir damit anfangen ? Der Herr hilft denen, die sich selbst helfen !

Die Ältestenbrüder zeigen Eifer und gehen von Sieg zu Sieg - Halleluja. Daß dabei irgendwelche Leichen in den Kurven liegen, oder daß ganzen Familien unheilbarer psychischer Schaden zugefügt wurde, überlassen wir "Ihm, der rechtfertig richtet".

Die Säuberungsaktionen früherer Jahre haben, unter vielen anderen, folgende selbstbewußte Personen aus der Gemeinde entfernt:

Adolf Wetlesen Bernt Heid

Arne Renger Isak Evensen

Agnar Gilbu Enok Hansen

Jonas Bekkevold Ole Kristiansen

- und in der Sprachregelung der Gemeinde ist mit all diesen etwas nicht in Ordnung. Entweder sind sie aussätzig oder leicht sinnesverwirrt, oder damit beschäftigt, für sich selbst zu sammeln, oder ....(die Liste ist lang und die Kreativität groß). Schon der Umstand, daß ich ihre Namen in meinen Notizen erwähne, bringt es mit sich, daß ich als potentielle Ansteckungsquelle für dieselbe Pest angesehen werden muß, unter der sie litten.

- Kann es sich um eine Art geistigen HIV-Virus handeln ?

- Erfolgt die Ansteckung durch Berührung ?

- Kann sie zu unmittelbarem Tod führen ?

Soviel ich weiß, erfolgen nun Säuberungsaktionen in bisher unbekanntem Ausmaß. Die Liste ist bereits ziemlich umfangreich und die Erklärung ist die, daß, wer sich nicht in Bewunderung vor den Leitern auf den Bauch legt, der Hure oder dem Antichrist aus der Offenbarung des Johannes angehört.

Ich höre, daß Sverre Riksfjord vor kurzem gesagt hat, er würde es persönlich nicht wagen, einer Klapperschlange die Hand zu reichen.

- Die, welche Klapperschlangen genannt werden, sind alle die hunderte aufrichtigen, guten Christen, dir noch bis vor einigen Jahren seine Freunde waren. Mit solchen Freunden benötigt man natürlich keine Feinde.

Schreckpropaganda und hohe Mauern können zwar eine Gemeinschaft für einige Zeit zusammenhalten, aber das geht nicht auf die Dauer. Die Geschichte zeigt, daß geschlossene Systeme selbstzerstörend sind. Eine der selbstzerstörenden Kräfte in der Gemeinde ist mit der Wahl der Leiter verbunden. Solange die Wahl der Leiter ein Tabu-Thema ist, wird es nicht möglich sein, die entstandenen Probleme zu lösen.

Es ist einleuchtend, daß die, welche an der Macht sind, keinen offenen Dialog darüber wünschen, mit welchen Leitern der Versammlung gedient wäre. Deshalb muß ein Erneuerungsprozeß von unter her in der Organisation betrieben werden. Von seiten der etablierten Leiter können offene Diskussionen und eventuelle Alternativwahlen am besten dadurch bekämpft werden, daß man dem Umstand religiöse Werte beimißt, kein gewählter Leiter zu sein. Der oder die, welche für die Erneuerung arbeiten (um der Gemeinde die Möglichkeit zu geben, als große, einheitliche Versammlung zu überleben), werden daher mit religiösen Mitteln zu Fall gebracht: sie werden für Übeltäter erklärt und damit kann die Jagd beginnen.

8. Angst und Unsicherheit.

Die Indoktrinierung, die bei den 2-3 wöchentlichen Treffen vor sich geht, ist eine Art ritueller Gehirnwäsche. Es werden starke psychologische Mittel eingesetzt, die auf eine ganz unglaubliche Weise zwischen kollektiver Brillianz und individueller Unzulänglichkeit pendeln. Zuerst einmal ist die Gemeinde "das geistige Israel" und daher Gottes auserwähltes Volk auf Erden. Sie sind die einzigen, die dem echten Christentum nahekommen. Alle anderen Gruppen werden lächerlich gemacht und inständig abgewertet, mit Seufzen, Stöhnen und leisen Gebetsworten wie "Ja danke, lieber Gott".

Gleichzeitig mit der kollektiven Großartigkeit gibt es Schwefelpredigten, die auf die Nöte des Einzelnen hinzielen. Gegen Ende der Versammlung melden sich einige Damen mit kleinen persönlichen Zeugnissen, in denen sie gerne ein wenig weinen und ihre Unvollkommenheit bekennen. Als Abschluß wird ein kleines Lied gesungen, das von der kollektiven Großartigkeit und den sicheren Aussichten handelt, "zur Braut zu gehören", wenn man nur in der Gemeinde bleibt (und die Kritik an den Leitern sein läßt...).

Diese sehr rituellen Treffen sind eine genau programmierte Massensuggestion mit einem beinahe faschistischen Unterton. Die Leute werden zuerst bezüglich der Gemeinde in eine Halleluja-Stimmung versetzt, um dann auf persönlicher Ebene in die Tiefe gerissen zu werden. Das sind bekannte Massensuggestionsmittel, aber ich weiß, daß dies nun, im Jahre 1992, die Bezeichnung DIE GROSSE ERWECKUNG erhält. Auf der einen Seite ist man Teil einer Gemeinschaft, die über allen anderen christlichen Gemeinschaften steht, und auf der anderen Seite ist man persönlich zutiefst elendig. Nachdem man an dieser rituellen Gehirnwäsche durch eine Anzahl von Jahren teilgenommen hat, gehört schon einiges dazu, noch zu wagen, auf eigenen Beinen zu stehen, oder hinauszugehen, nachdem es dunkel geworden ist.....

Schreckpropaganda und Drohbriefe sind ebenfalls wichtige Mittel beim Machtmißbrauch der Leiter. Wenn man nicht gehorsam ist und sich einordnet, besteht die Gefahr, daß einem Schreckliches zustößt. Die Mittel, die benützt werden, kann man nur als Psychoterror bezeichnen, unter der Vorspiegelung, daß sie einen vor dem großen Unglück "retten" sollen.

Vielleicht sind Sie über meine offenherzige Beschreibung, wie ich die Leitung in der Gemeinde erlebe, entrüstet. Ist es nicht gefährlich, seine Meinung so offenherzig zu sagen !?!?! - Nein, ich meine, daß es auf lange Sicht viel gefährlicher ist, sie nicht zu sagen ! Sich vor der Schreckenspropaganda zu beugen ist Schwachheit.

In der "Schauerkiste" hatte Aksel J. Smith in den Sechzigerjahren eine Lieblingsgeschichte, die er oft erzählte - auch vom Rednerpult aus. Es handelte sich um jemand, der mit einem der Leiter der Gemeinde uneins war und draußen auf der Straße an einem Herzinfarkt starb. Es war Gott, der ihn zu Boden schlug, denn er hatte sich gegen den Gesalbten des Herren erhoben!

Daß es wahrscheinlich gerade die herzlose rohe Behandlung durch die Leiter der Gemeinde war, die ihn das Leben kostete, wäre zu schwierig zu verstehen.

Wie man weiß, gehören zu einem Streit mindesten zwei Leute, und wer von ihnen das RECHT auf seiner Seite hat und auf dem richtigen Weg ist, muß notwendigerweise davon abhängen, mit welchen Augen man es sieht. Im Laufe der Jahre sieht es aus, ein Muster zu sein, daß der, welcher im Augenblick die besten Kontakte zur Machtelite hat, zum "Krieger des Herren" erklärt wird. Während der andere Teil - der im Augenblick bei der Leitung nicht "in" ist, Objekt der Lächerlichkeit, öffentlichen Anprangerung und Verleumdung wird. Aber es ist natürlich nicht Verleumdung, wenn die Machtelite hinter der Kampagne steht. Dies beinhaltet auch eine Definition des Wortes Verleumdung. In der Gemeinde - d.h. der Organisation - bedeutet Verleumdung kritische Beurteilung der Machthaber.

Ist es dagegen ein bedeutender Leiter, der negativ über Abwesende spricht, so ist das als eine Form von Bruderschaft und Volkserziehung zu verstehen. Wer eingeladen wird, an einer negativen Beurteilung anderer Mitglieder teilzunehmen, sollte sich zuerst einmal als befördert fühlen. - Es ist nämlich der BEWEIS, daß man dem Kreis um den Verleumder (gerne ein "Ältesterbruder") angehört.

Im übrigen muß man zuhören und lernen. Die wenigsten würden erbaut sein, wenn man über sie in so wenig vorteilhaften Wendungen spräche. Dadurch hat die Verleumdung eine wesentliche erzieherische und abschreckende Wirkung. Das kann man wohl Bruderschaft mit doppeltem Boden nennen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Schreckpropaganda etwas ist, das einem lange in den Knochen sitzt. Viele Jahre hindurch war ich darauf gefaßt, daß die Nemesis eines Tages meine kleine Familie persönlich aufsuchen würde. Vielleicht würden sich die Kinder Verhaltensstörungen zuziehen ? Vielleicht wird die finanzielle Lage der Familie Schiffbruch erleiden ? Vielleicht werde ich von Krankheit befallen ? Nun sind 20 Jahre vergangen, ohne daß das GROSSE UNGLÜCK gekommen wäre, deshalb habe ich aufgehört zu warten. - Aber ganz sicher bin ich immer noch nicht !

Mit der Zeit habe ich tatsächlich längere Perioden der Anfechtung erfahren, Angst und Schrecken sind das Normale, wenn man sich entschließt, die Smiths Freunde zu verlassen. Als Beispiel kann ich erwähnen, daß ich im Winter 1987 einen früheren Smiths-Freund auf den Flugplatz Evenes traf. Er ist etwa 10 Jahre älter als ich und hatte die Gemeinde mindestens 10 Jahre früher verlassen. Wir einigten uns, abends gemeinsam zu essen, und wir hatten einige gute Stunden, in denen wir über alte Zeiten sprachen.

Bevor wir abends auseinandergingen, fragte er mich, warum ich die Gemeinde verlassen hätte. Ich erzählte ihm über Bratlie's Machtübergriffe und welchen unauslöschlichen Eindruck dies auf mich gemacht hatte. Ich erklärte, daß dies eine der Hauptursachen für mein grundlegendes Mißtrauen gegenüber der Gemeinde als Gemeinschaft war. Auf Grund dieser einfachen, aber offenen Erklärung bekam er DAS GROSSE ZITTERN und fragte mich, wie ich es wagen könne, über Bratlie auf diese Art schlecht zu reden. Ich sagte, daß ich nicht schlecht über ihn rede, sondern daß ich nur über seine Taten berichte. In dem Maße als dies schlecht war, mußten es wohl Bratlie's Taten sein, die schlecht waren, nicht der Umstand, daß ich sie zu beschreiben wagte.

Deutlich schockiert über meinen "Übermut" ging er zu Bett. Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählte er, daß er eine sehr unruhige Nacht gehabt hätte, weil er meiner Erzählung zugehört hatte. (- Im schlimmsten Fall hätte er bestraft werden können, weil er mit mir gesprochen hatte - einem Aussätzigen).

9. Die Idee und Kultur der Gemeinde.

Soviel ich weiß, waren die Smiths Freunde ursprünglich ein Freundeskreis, der ein gemeinsames Interesse daran hatte, sich selbst im Lichte der Bibel zu erforschen. Es war also eine grundlegende introvertierte Idee, mit Hauptgewicht auf positiver Selbstentwicklung im Alltag.

Es sieht aber so aus, als ob die Idee der positiven Selbstentwicklung zu einem sehr frühen Zeitpunkt durch sehr negative Beurteilung anderer Glaubender und anderer Glaubensgemeinschaften verwässert worden wäre. Fehler und Mängel in anderen Kulturen zu finden ist natürlich eine gute Hilfe zum Aufbau einer eigenen Identität. Die Schwäche anderer bilden gewissermaßen ein Kontrastmittel, das es möglich macht zu erklären, wie wir nicht sind. Allzu fleißiger Gebrauch von Kontrastmitteln kann jedoch sehr ungute Nebenwirkungen haben und in extremen Fällen neue, chronische Leiden hervorrufen.

Weiters wurde DIE GROSSE VERDAMMNIS früh ein ganz zentraler Teil der Liturgie, wie eine Art negativer Anreiz. Das Gottesbild der Gemeinde ist hauptsächlich das des ANKLÄGERS und als Folge davon ist Angst ein zentrales Element im Leben der Gemeinde.

Beim Durchlesen der ersten Jahrgänge des Mitgliederblattes der Gemeinde, "Verborgene Schätze", fällt es auf, wieviel Platz dem Satan, der Vollkommenheit der "Brüder" und der Unvollkommenheit anderer Christen gewidmet ist. Zum Beispiel folgende "Gedankenkörner" in der Februarnummer 1913 (Jahrgang 2):

"Wenn Satan kommt, unter dem Namen des Friedensfürsten, dann klagt er über zu wenig Toleranz und leitet Verhandlungen bezüglich einer Allianz ein".

Dies ist Grund zu glauben, daß dies ein konkreter Gruß an ihren ehemaligen Freund T.B. Barratt, den Gründer der Pfingstbewegung, ist. Aksel Smith und Thorleif Hansen hatten an einigen seiner Versammlungen teilgenommen und wurden beide von Barratt sehr geschätzt. Einige Zeit wurden zwischen Barratt und den Brüdern Smith Gespräche über eine eventuelle Zusammenarbeit geführt, aber etwa 1910 kam es zu einem vollständigen Bruch zwischen ihnen. Nach dem Bruch wurde Barratt also im Mitgliederblatt der Smiths-Freunde direkt als Satan bezeichnet.

- Starker Gebrauch der Sprache und indirekte Methoden !

Die innere Kultur der Gemeinde kann meiner Meinung nach folgend zusammengefaßt werden:

Starker Gottesglaube. Die gewöhnlichen Mitglieder der Gemeinde haben einen aufrichtigen Glauben an Gott, der auf ihr Handeln im Alltag einen starken Einfluß hat. Die Gottesfurcht beinhaltet auch eine Perspektive ihrer Verantwortung als Arbeitnehmer, und sie sind deshalb auch ungewöhnlich pflichtbewußt und fleißig.

Elite-Denken. Der Glaube der Gemeinde an ihre Rolle im Universum und der Glaube an die eigene Unfehl- barkeit als Gemeinschaft sind so extrem, daß man sie als kollektive Megalomanie beschreiben könnte.

- Krankhafte Großmannsverrücktheit.

Einstellungs-Helden. In der Gemeinde wird man für seine Einstellung bewundert. Starke Einstellung für die Gemeinde und die Ältestenbrüder ist das wichtigste Erfolgs- kriterium. Das ist zweitwichtigste ist eine unausge- sprochene negative Einstellung gegenüber jedem, der nicht diese unkritische Begeisterung für alles innerhalb der Gemeinde teilt. Ist nur die Einstellung stark genug, so spielen tatsächliche Handlungen wenig oder keine Rolle ! Legt man jedoch eine Spur von kritischer Einstellung und gesunder Beurteilung des Systems an den Tag, so muß man damit rechnen, daß die Handlungen genau geprüft werden.

Verleumdung. Ein wesentlicher Teil aller Kommunikation von seiten der Leiter sind negative Reden über abwesende Personen. Dies geschieht unter dem Vorwand der Fürsorge. Wie steht es eigentlich mit dem oder dem..? Dies wird also als Fürsorge erklärt, obwohl es zu keinen positiven Handlungen zugunsten dessen führt, der verleumdet wird. Wenn es zu Handlungen führt, so sind diese fast ausnahmslos für den Betreffenden von negativer Art. Erst wenn man auf Leute zu sprechen kommt, die abwesend sind, entstehen interessante Gesprä- che und Erlebnisse der "Gemeinschaft im Geiste".

Machtmißbrauch. Die oberste Leitung wird verherrlicht, von den Mitgliedern in den Himmel erhoben und bekommt uneingeschränkte Vollmachten. Diesen Vollmachten wird auch eine religiöse Dimension durch die Verwendung von Bibelworten gegeben, als Erklä- rung, daß man von Gott - direkt - eingesetzt wurde.

In der katholischen Kirche wird der Papst der Stellvertreter Gottes genannt, aber man weiß trotz allem, daß die Einsetzung indirekt ist; durch ein Kollegium, das einen neuen Stellvertreter nach dem Tod des Papstes ernennt. Die Meinungsverschieden- heiten im Kollegium des Vatikans können sicher stark und die Diskussionen lang sein, aber sie geben nicht auf, bevor sie sich geeinigt haben.

In Leitungsfragen ist daher die Praxis der Gemeinde extremer als die der katholischen Kirche. Dies führt zu der denkbar schlechtesten Leiterpraxis, mit tragischen Folgen für die Organisation. Macht korrumpiert und berauscht, und in ihrem Rausch mißbrauchen die Leiter die Macht. Jeder, der ihnen in den Weg kommt, wird als ein Hindernis ange- sehen, das man entfernen muß.

Eiskalt an der Spitze. Je näher man der Spitze der Organisation kommt, von desto eiskälterem Gepräge sind dort die Menschen. Der vorläufig Kälteste von allen ist Sigurd Bratlie, aber die Kronprinzen in seiner Nähe legen ein deutliches Potential an den Tag, einen Führungsstil und ein Verhaltensmuster zu entwickeln, das noch schlimmer ist.

Sehen wir die menschlichen Qualitäten in der Gemeinde an, so ist es ein durchgehendes Muster, daß es bei den gewöhnlichen Mitgliedern echten Gottesglauben, Nächstenliebe und Handlungen gibt, die mit den christlichen Idealen übereinstimmen. Je weiter man in der Organisation hinaufkommt, desto mehr dreht es sich um Macht, um Positionen und um Popularität.

Einer meiner Freunde drückte es so aus: "Es kann scheinen, als ob die wichtigste Frage unter den Brüdern nicht die ist, ob man zur Braut gehört, sondern ob man auf Torsteinslåtta dabei ist (die Versammlung der obersten Leiter, welche der Vorbereitung der jährlichen Großversammlung auf Brunstad in Stokke dient).

Es sieht so aus, daß die grundlegende Idee der positiven Selbstentwicklung auf die Basis begrenzt ist, während die Leiter meist damit beschäftigt sind, Reden zu halten und Chefs zu sein. Auf höchster Ebene ist der Machtmißbrauch das augenfälligste Merkmal.

10. Gemeindemythen und Realitätsflucht.

Die meisten Kulturen erklären und verteidigen ihre Handlungen durch die Betonung von irgendwelchen gemeinsamen "Wahrheiten". Diese stammen meist aus der Gründerphase und beruhen auf den vorherrschenden Werten und Normen, die damals galten. In einer frühen Phase des Lebens der Organisation gab es sicher eine Spur von Wahrheit in den Aussagen, aber nach und nach wurden es mehr und mehr Mythen und Redensarten und ständig weniger Wirklichkeit.

Je isolierter eine Gemeinschaft ist, desto leichter wird es, die Mythen am Leben zu erhalten und die Realitäten zuzudecken. Hohe Zäune rings um die Gemeinschaft und oftmaliges Wiederholen der Mythen macht es möglich, daß die Leute nicht sehen, was sie sehen. Wenn die Handlungen nicht mit der Redeweise übereinstimmen, kann es beruhigend wirken, Erklärungen statt eigenen Beobachtungen zu glauben. So können große Gruppen von Menschen Mythen benutzen, um vor der Wirklichkeit zu fliehen.

In fast 70 Jahren bestand diese Situation in Osteuropa. "Die Macht dem Volk" und "Gleichheit - Freiheit - Brüderlichkeit" waren die Mythen, auf denen die kommunistische Gesellschaft aufgebaut war. Eine wesentliche Ursache dafür, daß die Mythen zerplatzten und die Machthaber von einer ajourgeführten Wirklichkeit eingeholt wurden, waren neue Informationstechnologien. Es gelang den Führern nicht mehr, die Äthermedien draußen zu halten, und die ajourgeführte Information zersprengte den Bluff innerhalb weniger Jahre.

Ich möchte im folgenden Abschnitt versuchen, eine kleine Übersicht über die Gemeindemythen zu geben, die für die Flucht vor der Wirklichkeit von zentraler Bedeutung sind. Ich mache es kurz, indem ich die Gemeindethese und danach meine Antithese anführe.

These: Die Gemeinde ist nicht organisiert.

Antithese: Die Gemeinde hat eine starke hierarchische Struktur und ein dichtes Regelwerk. Die Organisation wurde durch die Ereig-

nisse der letzten Jahre weiter verdeutlicht, seitdem der Zutritt zu den Versammlungsorten Brunstad und Hessenhöfe nur Personen gestattet wird, die von den Leitern ihres Heimatortes die "Sicherheitsfreigabe" erhalten haben.

These: Die Gemeinde ist von Frieden und Verträglichkeit geprägt.

Antithese: Die Gemeinde ist stark von Machtkämpfen, Verleumdung und Intrigen geprägt. Fast jedes Jahr fand irgendwo eine Säuberungskampagne statt, die große Schmerzen, viel Einsamkeit und persönliche Tragödien für alle verursacht hat, welche Opfer der Kampagne wurden.

These: Die Gemeinde geht von Erleuchtung zu Erleuchtung.

Antithese: Die Smiths-Freunde sind ein extremes Beispiel einer Organisation, die unfähig ist zu lernen. Die Geschichte wiederholt sich, aber Lernen findet nicht statt. Die eigentliche Voraussetzung dafür, eine lernende Organisation zu sein, ist die Offenheit für Feedback. Es erfordert auch, daß die verantwortlichen Leiter gegenüber sich selbst ehrlich sind und die Leitungsverantwortung auch für weniger gute innere Zustände zu tragen bereit sind.

Die Verkündigung besteht fast zur Gänze aus alten Floskeln. Nach 10 Jahren erkannte ich sämtliche Überlegungen und Rede- wendungen bei Sigurd Bratlie wieder. Nichts deutete darauf hin, daß er überhaupt etwas gelernt hatte oder im Laufe dieser 10 Jahre einen einzigen neuen Gedanken gedacht hätte.

These: Demut und Selbsterkenntnis sind Merkmale der Gemeinde.

Antithese: Als Organisation hat sich die Gemeinde immer hoch über jede Form von Kritik erhoben. Eventuelle Kritiker wurden in voller Öffentlichkeit "hingerichtet". Gleichzeitig haben sich die Leiter so arrangiert, daß es keine Verhaltensrevision gibt. Sollte es jemand wagen, den Leitern irgendwelche Rückmeldungen über ungünstige Seiten ihres Chefdaseins zu geben, wird dies als Übermut von seiten der Kritiker abgestempelt. "Der geistliche Mensch beurteilt alles und wird selbst von niemandem beurteilt". - Dies ist ja durch- aus ein überdeutliches Zeichen von Übermut von seiten der Leiter!

These: Gott ist das Oberhaupt der Gemeinde.

Antithese: Als Gemeinschaft wurde die Gemeinde immer absolut von einem Einzelnen oder einer kleinen Zahl von Personen regiert. Die Macht haben sie sich durch ihren eigenen Einsatz gesichert, und ihre gnadenlosen Verwüstungen unter den Mitgliedern schließen es aus, daß Gott der oberste Chef für diese Tätigkeit sein kann.

These: Nur die Gemeinde kann zur Braut gehören.

Antithese: Wenn wir annehmen, daß die Handlungen dafür ausschlaggebend sind, ob man zur höchsten Geistes-Elite gehört, so gibt es wenig, das darauf hindeutet, daß es in der Gemeinde darum besser bestellt ist als in anderen Glaubensgemeinschaften, abgesehen von der Basis in der Gemeinde. Oben in der Organisation sieht es wesent- lich schlechter aus. Auf der höchsten Ebene sind viele Leiter so mit ihrem Ego-Trip, Machtkämpfen, Positionen und Intrigen beschäftigt, daß ich annehme, ihre Handlungen müssen in der Frage bezüglich der Zugehörigkeit zur Braut disqualifizierend sein.

Diejenigen Leiter, die an den Machtkämpfen nicht teilgenommen haben, sind in Gefahr, wegen ihrer Unterlassungssünden von der großen Gästeliste gestrichen zu werden. Damit meine ich Opportunisten, die wegen ihres eigenen Ansehens und ihrer Karriere stillschweigend die Machtübergriffe und andere Untaten von seiten der obersten Leiter akzeptieren.

These: Die Heiligung verwandelt die Person.

Antithese: Als Folge der Gemeindeverkündigung hat keine Veränderung der grundlegenden Persönlichkeitszüge stattgefunden. Leute, die von Natur aus Geltungsbedürfnis hatten, aggressiv und dominierend waren, sind im großen und ganzen dieselben, auch nach 50 Jahren Mitgliedschaft in der Gemeinde. Die einzigen Änderungen, die man merkt, sind neue Ausdrucksformen für die gleichen grund- legenden Persönlichkeitszüge. Einige Verhaltensänderungen können in kürzeren Perioden auf Grund fehlender Möglichkeiten entstanden sein, das wahre Ich auszuleben, aber das hat nichts mit den Lehrsätzen der Gemeinde zu tun.

Leute, die sich als selbstaufopfernd, gut und geduldig auszeichnen, hatten dies als grundlegenden Persönlichkeitszug und waren so schon ihr ganzes Leben.

Dies bedeutet nicht, daß es nutzlos ist, an einer positiven Selbstentwicklung zu arbeiten. Es ist sowohl nützlich als auch notwendig, aber es handelt sich in großem Maß darum, seine starken Seiten zu erkennen. Was meine hervorragendste Stärke ist, ist auch meine größte Schwäche, denn ich kann die Tendenz haben, die Stärke zuviel zu gebrauchen. Positive Selbstentwicklung dreht sich deshalb in großem Maß um Selbsterkenntnis und die Fähigkeit, günstige und ungünstige Situationen zu identifizieren.

Für mich als tatkräftige und starke Persönlichkeit ist eine Situation ungünstig, wo ich in zu hohem Maße die Erlaubnis bekomme, das Kommando zu übernehmen - da wird meine große Stärke meine Schwäche. Im schlimmsten Fall entwickle ich diktatorische Tendenzen.

Persönliches Wachsen und Entwicklung ist etwas, was sehr viele Menschen beschäftigt, und ist der Grundstein für viele Organisationen. Ob sie nun Odd Fellow, Smiths Freunde, Pfingstgemeinde oder Freimaurerloge heißen, so ist doch dies der Hauptzweck. Ja sogar im Beruf und in der öffentlichen Verwaltung wird viel mit positiver Selbstentwicklung gearbeitet. Dort wird es gerne Leiterausbildung oder Organisationsentwicklung genannt.

Wenn man sich sehr wenig außerhalb der Gemeinde bewegt hat, kommt man leicht zu dem Glauben, daß dies etwas Besonderes ist, aber es ist also in der Tat allgemein verbreitet.

 

 

11. Die schwere Lebenssituation der Frau.

Die Treffen widerspiegeln in großem Maß die geltende Ansicht über die Frauen: "die Frau wird durch die Geburt ihrer Kinder gerettet". Dies bringt mit sich, daß die einzige sichere Eintrittskarte zum Paradies für eine Frau darin besteht, so viele Kinder wie möglich zu bekommen. Das setzt ja voraus, daß man verheiratet ist. Unverheiratete Frauen haben einen möglichen Ausweg durch ein selbstauslöschendes und aufopferndes Leben. Regelmäßiges Bekennen ihrer tiefen Elendigkeit bei den Treffen kann auch ein Beitrag in die richtige Richtung sein.

Die Rollen und die Lebenssituation, die man Frauen in der Gemeinde anbietet, basieren auf der reinsten Roh-Auslegung des Apostels Paulus, ohne jede Form von Ajourführung. Sämtliche negative Anordnungen für die Frauen und die Forderung nach ihrer Untertänigkeit stammen von seinem ersten Brief an Timotheus, und haben wahrscheinlich spezifische Probleme in dieser Gemeinde als Ziel:

- Der Mann ist das Haupt der Frau

- es ist unschicklich für eine Frau, die Haare zu schneiden

- die Frau wurde um des Mannes willen geschaffen (!)

- die Frau soll auf ihrem Haupt ein Untergebenheitszeichen tragen

- die Frau soll in der Versammlung schweigen

- eine Frau soll sich in Stille belehren lassen, mit allem Gehorsam

- es schickt sich nicht für eine Frau, in der Versammlung zu reden

- die Frau soll sich mit schicklicher Kleidung schmücken

- ICH (Hervorhebung von mir) gestatte einer Frau nicht, zu lehren

Die gleiche Grundlinie von Paulus' Ansicht über die Frau steht in 1 Tim 2,14: Adam wurde nicht verführt, aber die Frau wurde verführt. Das heißt, daß Eva sich von der Schlange (dem Teufel) im Paradiese verführen ließ und damit die Frauen in der Tat für den Sündenfall verantwortlich sind ! - Ohne dieses Ereignis hätten wir heute noch immer das Paradies auf Erden ! (Daß es zu 98 % Männer sind, die hinter Kriegen, Massenvernichtungen, Umweltschäden, Gewalt und anderen Formen von Kriminalität stehen, wird stillschweigend übergangen).

Paulus hat im nächsten Vers eine Anweisung, wie diese schrecklichen Geschöpfe, die Frauen, gerettet werden können: durch die Geburt ihrer Kinder. Damit sie an so viel Rettung wie möglich teilhaben können, müssen sie natürlich so viele Kinder wie möglich gebären. Auf welche Weise das eine Rettung sein soll, ist nicht näher beschrieben oder erklärt. Tatsache ist, daß ganz im Gegenteil sehr viele als Folge der häufigen Geburten zugrunde gehen. Im Alter von 40 haben viele 10 bis 15 Kinder geboren und sitzen ganz abgekämpft und erschöpft daheim.

Ziemlich viele erleben die Geburten als eine schwere Last, die sie tragen müssen, um der Verdammung zu entgehen. Offiziell ist jede Form von Verhütung - oder Sterilisation - verwerflich und ein Auswirkung von schlechter Gesinnung. Deshalb wählen die meisten den extrem schwierigen Weg, in der Hoffnung, daß dann ein besseres Leben auf sie wartet. In der Praxis lassen sich manche Frauen sterilisieren, aber das steht vollständig unter einem Tabu.

Selbstverständlich gibt es auch Beispiele von Müttern, die Gesundheit und Kräfte haben, viele Kinder zu gebären, und die dies mit Freuden getan haben. Für deren Leben hat sicher die große Kinderschar einen reichen Inhalt gegeben, auf den sie mit Freude zurücksehen. Aber ich weiß, daß es viele gibt, die sich eine solch große Kinderschar auf keinen Fall gewünscht haben, und denen es nicht guttat, fast chronisch schwanger zu sein - während bis zu 20 Jahren. Aber sie haben gleichwohl diesen Lebensstil gewählt, aus Furcht vor der Verdammnis.

Eine Mutter mit 5 Kindern erhielt vom Arzt Bescheid, daß sie nicht kräftig genug sei, noch mehr Kinder zu bekommen. Die Schreckenspropaganda hielt sie indessen davon ab, über ihre eigene Situation nachzudenken und auf die Ratschläge des Arztes zu hören. Die Frau hatte immer noch Bedarf für mehr Rettung und gebar das 6. Kind, starb jedoch gleich nach der Geburt. Der Mann blieb verzweifelt mit 6 Kindern zurück, aber selbst diese Tragödie schien die Augen der meisten Leute nicht zu öffnen. Meine Frau trug einen Schreck davon und beim Begräbnis der verstorbenen Mutter entschloß sie sich, die Gemeinde zu verlassen.

Ich könnte viele Geschichten erzählen, welche tragischen Folgen diese Ansicht über die Frauen hat, aber ich beschränke mich auf dieses eine Beispiel.

Doppelt tragisch wird die Ansicht der Gemeinde über die Frauen, wenn man einen Teil dieser Damen kennt. Viele von ihnen sind so selbstaufopfernde und gute Menschen, daß sie fast mit Mutter Theresa konkurrieren könnten. Sie haben den größten Teil ihres Lebens guten Werken der einen oder der anderen Art geweiht, ohne Gedanken an sich selbst oder ihren eigenen Gewinn. In diesem Licht ist es ganz unbillig und ohne Kontakt mit der Wirklichkeit, daß sie bei den Treffen kleine Zeugnisse ablegen, wobei sie, meist weinend, über ihre eigene Unzulänglichkeit erzählen und darüber, welchen kolossalen Bedarf an Rettung sie haben.

- Aber glücklicherweise (oder Gottseidank) gehören sie der Gemeinde an, dem Geistlichen Israel, Gottes auserwähltem Volk auf Erden, und damit gibt es vielleicht doch noch Hoffnung.

Daß die meisten Frauen etwas vom Höchsten darstellen, was es in der Gemeinde gibt, scheint niemand zu bemerken. Offensichtlich gibt es auch niemand, der darüber nachdenkt, daß es in den Evangelien keine so negativen Vorschriften für die Frauen gibt. Da spielen die Frauen eine zentrale Rolle, sowohl im Kreis um Jesus als auch sonst in der Gesellschaft. Blättern wir zurück in der Bibel bis zum Hohelied Salomons, so wird von der Frau als vom Höchsten der göttlichen Schöpfung gesprochen ! Aber in der Gemeinde ist es nun einmal die Ansicht des Paulus über die Frau, die sowohl in der Theorie als auch in der Praxis dominiert.

12. Smiths Freunde im Jahre 1992.

Sigurd Bratlie wird 87 im Juli 1992 und beginnt nun ziemlich sentimental und rührselig zu werden. Aus Quellen, die ihm nahestehen, weiß ich, daß seine Reden sich auf das Herunterleiern von Schriftstellen beschränken, die abwechselnd dazu benützt werden, zu erzählen, wie gut es in der Gemeinde ist, oder für grobe Angriffe auf jene, welche ihren letzten Rest von Vertrauen auf ihn als Leiter verloren haben. Nach und nach wurden es ziemlich viele von der zuletzt genannten Kategorie, und es sieht so aus, als ob es noch mehr würden. Das Muster sieht so aus, daß die meisten, die nachdenken, sich zum Austritt entschlossen haben.

Organisatorisch sind die Smiths Freunde dabei, ein Konzernmodell aufzubauen, wo Brunstad die Muttergesellschaft und die Besitztümer der örtlichen Gemeinden ringsum die Tochtergesellschaften bilden. Die Muttergesellschaft war Gegenstand eines Familiencups. Vor 30 Jahren waren es 12 Personen, die mit völliger persönlicher Integrität die Eigentümerschaft im Grundbuch repräsentierten.

Nun ist die Anzahl der Eigentümer-Repräsentanten auf 5 Personen begrenzt, die alle ein Integritäts- oder Habilitätsproblem haben:

- Sigurd Bratlie (verheiratet mit der Tochter von Johan O. Smith)

- Aksel Smith (der Sohn von JOS)

- Bernt Stadven (verheiratet mit der Enkelin von JOS)

- Kåre Smith ( der Enkel von JOS)

- Sigurd Johan Bratlie (Sigurd Bratlie's Sohn, Enkel von JOS)

Die Liegenschaften, sowohl Brunstad als auch die "Tochtergesellschaften", sind zur Gänze aus Spenden der Mitglieder im Laufe der Jahre finanziert worden, und sind natürlich Eigentum der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, bei der es keine Wahl des Leiters gibt und daher auch keine Einwirkungsmöglichkeit.

Wie erwähnt, ist es infolge von Mythen Gott, der die Leiter in der Gemeinde einsetzt und absetzt.

- Aber die obengenannten Grundbuch-Eintragungen sehen doch in der Tat eher wie Erbschaft aus ?

Vielleicht ist es so, daß Brunstad das Haus Gottes ist und Johan O. Smith eigentlich der Sohn Gottes war. In diesem Fall hat es Sinn, daß Kinder, Schwiegerkinder und Enkel ihr Erbrecht gebrauchen, um sich ihr Eigentum zu sichern.

Die netten Jungen, die nun in der Gemeinde ans Werk gehen, sind offenbar mehr daran interessiert, Leute aus der Gemeinde hinauszuwerfen, als neue hereinzubekommen. Dies kann rasch dazu führen, daß die Betriebsausgaben für Brunstad eine große Belastung für eine möglicherweise sinkende Anzahl von Mitgliedern darstellen.

Das Konzernmodell wird da besonders interessant werden, da es Möglichkeiten für Konzernbeiträge eröffnet. - Das sind finanzielle Übertragungen von einer Tochtergesellschaft zu einer anderen. Das Konzernmodell kann verhältnismäßig leicht weitergebaut werden, bis in den lokalen "Tochtergesellschaften" nur mehr Wachtmeister zurückbleiben, während die Geschäftsführung als Ganzes in den Händen der Knaben mit Erbrecht liegt.

Die Tumulte sind dramatisch und mitten in dem Ganzen besteht die Gefahr, daß man die Tatsache übersieht, daß sie von einem systematischen Fehler stammen, der in die Leiterpraxis und Organisationsstruktur der Gemeinde eingebaut ist. Die ganze Organisation ist für Leiter mit kleiner Hirnkapazität und großem Machtbedarf maßgeschneidert.

Zur Zeit ist Kåre J. Smith der Symptomträger, aber wenn es der Gemeinde, trotz der DECKAKTION ERWECKUNG, gelingen sollte, ihn als Leiter loszuwerden, so werden die Probleme nicht gelöst sein. Im Laufe von sehr kurzer Zeit wird jemand anderer den leeren Platz als Symptomträger einnehmen, und so wird sich das Karussell im Großen und Ganzen gleichmäßig weiterdrehen.

Die Hunderte, welche nun ihre eigenen Gesellschaften gründen, sind ebenfalls in Gefahr, eine neue Versammlung aufzubauen, die systematische Fehler enthält. Nachdem sie ein ganzes Leben in der Gemeinde zugebracht haben, kann die Armut an Modellen groß sein. Damit der Aufbau einer gesunden Gesellschaft glückt, muß man sich, glaube ich, von alten Gemeindemythen befreien und ganz neu denken. Die Verhaltensrevision für die Leiter muß ein natürliches Element sein, ebenso die Offenheit in ökonomischen Fragen.

13. Die Welt der Möglichkeiten.

Kinder von Smiths Freunden haben sehr oft persönliche Probleme oder Verhaltensprobleme, wenn sie sich entschließen, die Sekte zu verlassen. Die Anpassungsschwierigkeiten, welche diese Kinder "draußen in der Welt" haben, benützt man häufig als Beweis dafür, wie gut es ist, in der Gemeinde zu sein und wie gefährlich in der Welt außerhalb. Die Tatsache, daß es unter den Leuten in der Welt weniger Probleme gibt als in der Gemeinde, ist fast niemand bereit einzusehen.

Eine wichtige Quelle für Probleme der Kinder der Gemeinde ist es, daß ihnen eine ganz verdrehte Auffassung darüber eingetrichtert wurde, was es heißt, "in der Welt" zu sein. Ein extremes Beispiel ist Sigurd Bratlie, der der Obdachlosengegend in der Chr. Krogs-Straße in Oslo einen Besuch abstattete, wo er seinem sechsjährigen Sohn zeigte, wie es bei den "Leuten in der Welt" ist, und ihm die entscheidende Frage stellte: willst du in der Welt sein oder in der Gemeinde, Sigurd Johan ?

Wenn man Sozialfälle heranzieht, um zu erklären, wie wir in der Gemeinde nicht sind, schafft man Verwirrung. Draußen "in der Welt" ist es nicht normal, Alkoholiker, Drogensüchtiger oder Arbeitsscheuer zu sein. Der Ordnung halber mache ich darauf aufmerksam, daß dies arme Menschen sind, die außerhalb der Gesellschaft geraten sind, und daß wir ein Hilfssystem haben, das versucht, diese Menschen auf den Weg der Besserung zu bringen.

Die unglaubliche Schwarzmalerei darüber, was es bedeutet, "in der Welt" zu sein, schafft in sich selbst Probleme. Die Auskunft, welche viele Kinder bekommen, lautet ungefähr folgendermaßen: In der "Welt" gibt es nur Verdorbenheit, Falschheit, Hurerei und Ausschweifung. Etwa die Hälfte der Kinder, die in der Gemeinde geboren sind, wollen nicht dort leben. Die Alternative ist, in die "Welt hinaus" zu gehen, wo das Tragische geschieht, daß ein Teil von ihnen das Konzept auszuleben beginnt, das man ihnen eingetrichtert hat: Rausch, Hurerei und Ungesetzlichkeiten. Davon distanzieren sich normale Leute sehr und deshalb stoßen sie auf eine kalte Schulter. Dies wird vielleicht dahingehend mißverstanden, daß es ihnen nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, das Konzept, in der Welt zu sein, auszuleben, und deshalb vermehren sie das Auftreten von unsozialem, dummem Verhalten - mit tragischen Folgen.

Wir können die Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen betrachten. Eine Familie ist eine kleine Gemeinschaft in sich, die sowohl Möglichkeiten als auch Beschränkungen für die Mitglieder dieser Gemeinschaft bietet. "Unsere Straße" oder "unser Häuserblock" sind ebenfalls Gemeinschaften. Setzen wir so fort, so können wir finden, daß auch unser Dorf oder unser Tal eine Gemeinschaft ist, mit eigenen Lokalzeitungen. Andere verwenden gerne fixe Vorstellungen, wie die Leute von bestimmen Orten oder Tälern "sind". Die Osloer sind arrogant, die von Sunnmøre gierig, die von Bergen selbstgefällig, die vom Hallingdal "schlau", die vom Østerdal zuverlässig & träg.

- Die Spanier sind übrigens unehrlich, die Italiener potentielle Sittlichkeitsverbrecher, die Franzosen sex-fixiert, usw.

Gemeinsam für alle diese Verallgemeinerungen ist, daß sie auf Mythen und Unsinn beruhen. Selbstverständlich gibt es selbstgefällige Leute in Bergen, aber bei weitem nicht alle haben diese Eigenschaft. Selbstverständlich gibt es zuverlässige und träge Leute im Østerdal, aber nicht alle sind träge ! Einige können in der Tat witzig, flink und unterhaltend sein.

Die Smiths Freunde sind eine kleine, geschlossene Gesellschaft, die sich von der großen Gesellschaft isoliert. Das wichtigste Bindemittel, um die kleine Gesellschaft zusammenzuhalten, sind Schreckgeschichten, wie scheußlich es in dieser Großgesellschaft - von den "Freunden" die Welt genannt - ist. In der Welt, da ist es scheußlich.

Aber in der Gemeinde gibt es ja unter anderem auch Inzest, und noch dazu gibt es hervorragende Leiterfiguren, die jahrelang von Inzestfällen in ihrer eigenen Familie wußten, ohne etwas zu tun ! Die Begründung, warum nichts unternommen wurde, war unter anderem, daß es dem guten Namen und Ruf der Familie schaden würde (!!!). (Und die Kinder, denen unheilbarer psychischer Schaden zugefügt wurde, sind ja trotz allem nur Mädchen ! - Außerdem stellen diese kleinen Geschöpfe für mich so eine teuflische Versuchung dar. Eigentlich sind wohl sie die Schuldigen, auf jeden Fall sind sie mitschuldig.)

Meine Kommentare im obigen Absatz werden sicher als sehr starke Kost empfunden - an der Grenze des Unzumutbaren. Selbstverständlich ist Inzest keine gewöhnlich vorkommende Erscheinung, aber er kommt vor !

Der Punkt, auf den ich kommen möchte, ist der, daß die Gemeinde absolut keine gesündere Gesellschaft ist als die Großgesellschaft (die Welt) ! Aber all das Elend, das man in der Gemeinde findet, wird man selbstverständlich auch in der Welt finden, und da die Welt so riesengroß ist, kann man dort übertriebenere Beispiele und mehr Fälle und Schattierungen finden.

Entscheidend ist nicht, ob man eine kleine oder die große Gesellschaft wählt. Die eigenen Handlungen sind entscheidend, ohne Rücksicht darauf, wo man sein Leben zu leben wünscht. Die Möglichkeiten für ein gutes Leben sind gleich groß, unabhängig davon, welches Gesellschaftssystem oder welche Gesellschaftsgröße man wählt. In der Großgesellschaft habe ich viele nachdenkliche, interessante Leute kennengelernt. Leute mit einer interessanten Ansicht vom Leben, von sich selbst und von dem, womit sie sich beschäftigen. Solche Leute kennen ich auch aus der Gemeinde.

Das Schwarz-Weiß-Denken ist ein wesentliches Hindernis dafür, daß man sich hier im Leben einigermaßen frei bewegen kann. Es wäre vielleicht bequem, wenn die Dinge nur schwarz und weiß wären, dies würde ja die Sortierarbeit einfach machen ! Andererseits würde das Ganze dadurch ziemlich langweilig. In der Welt der Wirklichkeit hat das Meiste seinen Platz auf einer sehr nuancierten Skala von sehr gut über mittelmäßig bis schlecht, und Ihnen steht die Wahl frei. Es gibt sehr gute Filme, mittelmäßige und schlechte. Desgleichen Theater, Musik, Wein, Restaurants, Literatur, Campingplätze, Ferienorte und Kaffee.

Wenn man die hineingearbeitete Gedankenkultur akzeptiert, die alles in der Gemeinde als herrlich und alles außerhalb als schlecht beschreibt, so hindert man sich selbst daran, das Gute zu wählen, das Mittelmäßige zu tolerieren und das zurückzuweisen, was nicht standhält. Nicht alle Treffen sind herrlich. Viele Treffen können in der Tat so langweilig und inhaltslos sein, daß man mehr davon gehabt hätte, bei einer Tasse Kaffee daheim zu sitzen. Nicht alle Ältestenbrüder sind herrlich. Einige sind tödlich langweilig, andere in ihrem Stil etwas zu hysterisch, während wieder andere sich vielleicht in langweiligster Weise wiederholen. In früheren Kapiteln habe ich namentlich genannten Ältestenbrüdern viel Aufmerksamkeit gewidmet, die ich keineswegs für herrlich halte. -

Wenn man sich weigert, selbst zu beurteilen, so nimmt man sich auch die Möglichkeit, zu wählen.

Das Theater wird als Scheußlichkeit definiert. Die Dramen von Ibsen haben in mir Gedanken geweckt, die bei weitem das Beste übertreffen, was ich unter der Regie der Smiths Freunde erlebt habe. Andere Theaterstücke haben mich so gelangweilt, daß ich während Teilen der Vorstellung gut geschlafen habe. Dasselbe gilt für Filme. Ins Kino zu gehen wird als verwerflich definiert. Meine Erlebnisse sind sehr verschieden. Espen Skjønberg in "Eine Handvoll Zeit" zu sehen gab mir tage- und wochenlang zu denken, und das Erlebnis ist noch jetzt nach 2 Jahren in mir lebendig. Das war geistige Nahrung von hohem Niveau. Bei anderen Filmen stand ich auf und ging nach einer Viertelstunde.

Das Leben und die Welt sind voll von Möglichkeiten, vorausgesetzt, daß man sich erlaubt, bewußt zu wählen. Wenn man wählt, ohne erst die Alternativen frei geprüft zu haben, hat man vermutlich nicht gewählt. Man hat sich leiten lassen. Wenn es dies ist, was man wünscht, so ist es wesentlich, daß man seine(n) Leiter mit Sorgfalt wählt. Aber es ist ja gerade die Wahl, die man zu vermeiden gewählt hat ! Damit ist man sein eigener Gefangener.

Epilog.

Ich habe mehr als ein halbes Jahr benötigt, um diese Notizen zu verfassen. Ich habe sie wieder und wieder umgedreht, Teile verändert, hinzugefügt und weggelassen. Mehrere meiner guten Freunde in der Welt und gute alte Freunde aus der Zeit in der Gemeinde haben wertvolle Beiträge geleistet. Diese Beiträge haben in wesentlichem Grad zu Inhalt und Form der Notizen beigetragen. Gleichzeitig haben mir diese Beiträge Freude gemacht. Es kamen dabei wirkliche Freundschaft und eine unglaubliche Fähigkeit und ein Wille zu verstehen zutage.

Nun fühle ich, daß ich mit den Notizen fertig bin. Die Arbeit, diese Erinnerungen, Gedanken und Gefühle druckreif aufzuzeichnen, war eine wertvolle Therapie für mich. Ich fühle, daß ich mit der Einordnungsarbeit fertig bin, und damit haben die Notizen ihre Funktion für mich erfüllt.

Wenn ich dies nun Ihnen geschickt habe, ist es deshalb, weil ich glaube, daß Sie am Lesen Freude haben werden. Außerdem hoffe ich, daß es zu größerem Verstehen zwischen Ihnen und mir beitragen kann. Ich habe auch die heimliche Hoffnung, daß Ihnen das Lesen von meinem Kampf und meinen Anfechtungen Nutzen bringen wird.

- Vielleicht kann es in Ihre Situation etwas Licht bringen ?

* * *

Titel des Originals: Smiths Venner - Minner og Refleksjoner.

Übersetzung: Friedrich Griess