Hjemmet 18/99, Seite 86-87: "Aus der Wirklichkeit"

Ich wurde im Namen Gottes mißbraucht

Bis vor acht Jahren lebte Gunn (28) in einer strengen religiösen Sekte. Wie durch ein Wunder gelang es ihr, auszubrechen. Von 12 Jahren an wurde sie von ihrem älteren Bruder sexuell mißbraucht. Sie sagt, das Frauenbild der Sekte gehöre in ein anderes Jahrhundert.

Unter vier Augen mit Siri Walen Simensen

Wer die Gesetze der Sekte liest, versteht rasch, welches Frauenbild für die Mitglieder gilt. Gunn bekommt eine Gänsehaut, wenn sie Abschnitte liest, die sich auf die Begrenzung der Kinderzahl beziehen

Begrenzung der Kinderzahl ist ungöttlich. Sie bedeutet Irrglaube, Genußsucht, Ungehorsam, Aufruhr, Feigheit, Haß und Mord und ist eine Quelle für Hurerei, Fall und Abfall, steht da. Ferner wird festgehalten, daß mehr als eine Gattin auf diese Weise den Fall, die Verzweiflung und den Abfall ihres Mannes verursacht hat und daß sie sich so auch selbst schon hier auf Erden eine Hölle bereitet hat.

- Meine Mutter gebar 11 Kinder. 12 Jahre lang war sie jedes Jahr schwanger. Niemand nahm Rücksicht darauf, daß sie erschöpft und krank aussah. Sie selbst glaubte, es müsse so sein, die Arme. Ich finde, das ist grotesk!

Gunn wurde in die Sekte hineingeboren und erfuhr, wie wenig man als Frau wert ist. Dies merkte sie bereits als kleines Mädchen. Schon von 4- 5 Jahren an hatte sie daheim umfangreiche Pflichten. Sie mußte den Boden waschen, aufräumen, den Tisch abdecken. Spielen war ein Fremdwort.

- Für meine Brüder war dies anders. Sie hatten weit größere Freiheit und durften auch spielen. Ich erinnere mich, daß ich bald über den Unterschied nachdachte und mir wünschte, ich wäre statt dessen als Bub geboren worden.

Frauen sollen sich ihren Ehemännern unterordnen, auch das ist in der Sekte Gesetz. Es wird klar gesagt, daß es für einen Mann notwendig sein kann, eine Beugungsmanöver vorzunehmen, wenn die Ehefrau sich nicht beugen will. Schläge seien eine Notmaßnahme, die vor Gottes Augen Gnade findet, wird gesagt.

- Frauen in der Sekte glauben nicht an Gleichberechtigung. Sie sind die Ehefrau ihres Mannes und ihm deshalb untergeordnet. Die wichtigste Aufgabe der Frau ist es, Kinder zu gebären, berichtet Gunn.

Als Kind wurde ihr nie erlaubt, kurzes Haar oder Hosen zu tragen. Sie erhielt strengen Bescheid, "rein" zu leben, getrennt von der Sünde der Welt.

- Ich wurde erzogen, gehirngewaschen, im Glauben, Gedanken über Frauenanliegen seien unnatürlich und sündhaft. Mutter und Vater hielten mich mit einem sehr strengen Griff fest. Sie erzeugten in mir ein sehr schlechtes Gewissen, so daß ich mich viele Jahre hindurch damit abfand, sexuell mißbraucht zu werden, bevor es mir gelang, zu entkommen, sagt Gunn leise.

Keine Kindheit

Gunn hat einen Bruder, der acht Jahre älter ist. Er war jenes der Kinder, das während seines Aufwachsens sich der freiesten Zügel erfreute, aber auch er bekam gelegentlich Schläge, wenn er etwas falsch machte.

- Aber die Buben in der Sekte kommen darum herum, sich von anderen Kindern unterscheiden zu müssen. Sie kleiden sich in Jeans und sehen normal aus. Dies bewirkt, daß sie eher eine normale Kindheit und Jugend haben, erklärt Gunn.

Sie fühlt, daß sie nie eine Kindheit hatte. Pflichten und Aufgaben füllten ihre Tage von der Zeit an, als sie klein war. Die ganze Zeit über sollte sie es den Männern recht machen.

- Als ich 12 war, begann mein ältester Bruder, mich zu tyrannisieren. Ich hatte Bescheid erhalten, er sei erwachsen und ich müsse ihm gehorchen. Als er begann, mich sexuell zu mißbrauchen, wagte ich nicht, Widerstand zu leisten, selbst als Stimmen in mir sagten, es sei fürchterlich falsch, was er tat.

Der Mißbrauch zog sich über mehrere Jahre dahin, und Gunns kleinere Schwester wurde auch oft das Opfer. Einige Male nahm der große Bruder beide gleichzeitig mit auf den Dachboden.

- Wußten deine Eltern etwas von dem Mißbrauch?

- Ich weiß nicht, was sie wußten, aber als ich es ihnen im Erwachsenenalter erzählte, glaubten sie mir nicht ganz. Vielleicht wollten sie ihre Augen vor der Wahrheit verschließen. Oder stillschweigend akzeptieren, daß er seine Lüste hatte, die er befriedigen mußte. Er war ja ein Mann!

Gunn schüttelt den Kopf. Sie bemitleidet und verachtet gleichzeitig die Frauen, die sich darein finden, den Männern in der Sekte untertänig zu sein. Nicht einen Augenblick zweifelt sie daran, daß in der Sekte viel sexueller Mißbrauch mit kleinen Mädchen geschieht. Der Mißbrauch erfolgt im Namen Gottes.

- Es wird mir schlecht und ich werde krank, wenn ich daran denke. Mein Bruder hat heutzutage die Fähigkeit, ein Doppelleben zu führen. Nach außen hin ist er der perfekte Gläubige. Im Verborgenen lebt er ein fröhliches Leben mit Mädchen, Wein und Gesang. Hätte eine Frau auf die selbe Weise gelebt, so wäre sie aus der Glaubensgemeinschaft ausgewiesen und zur Hölle auf Erden verurteilt worden. Männern wird vergeben und sie dürfen sich der Wärme in der Gemeinschaft erfreuen.

Daheim bei den Eltern gab es viele Kinder, die um Liebe und Aufmerksamkeit kämpften. Gunn fühlt, es wäre besser gewesen, in einem Kinderheim aufzuwachsen.

- Ich war eine der Jüngsten in der Kinderschar und war nicht wie alle anderen. Es gelang mir nämlich nicht, mich in die geltenden strengen Regeln einzuordnen. Mutter und Vater hatten keine Zeit für jedes einzelne von uns - und besonders nicht für mich, die ich eine "Aufwieglerin" war. Sie verstanden nicht, daß meine Opposition aus der Hoffnung erfolgte, Aufmerksamkeit und Fürsorge zu erlangen.

Reine Bagatellen konnten dazu führen, verprügelt zu werden. Gunn erinnert sich, daß sie eines nachmittags eine halbe Stunde zu spät heimkam. Der kleine Mädchenkörper krümmte sich im Bett zusammen, während die Schläge geradezu hagelten. Mutter und Vater benützten Lederriemen, um zuzuschlagen. Zum Schluß lag die Mutter auf dem Boden und weinte vor Verzweiflung.

- Aber ich fühlte kein Mitleid, nur Haß. Steh nur auf und schlage weiter, dachte ich innerlich. Für mich waren körperliche Strafen das, wo ich meinen Eltern körperlich am nächsten kommen konnte. Ich wurde niemals umarmt, erhielt niemals einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Oft mußte ich selbst hinausgehen und die Birkenzweige abreißen, mit denen sie mich schlagen würden. Sie baten mich, die Blätter abzuzupfen, damit ich die Schläge besser fühlen sollte.

Ein kleines unschuldiges Kind wurde zu einer Person voll von Haß und Gleichgültigkeit verändert. Gunn beschützte sich selbst dadurch, daß sie ihrer Umgebung ein steinernes Antlitz zeigte. Sie wurde die Härteste und Kälteste von allen.

- Glücklicherweise gelang es mir im Erwachsenenalter, aus dem destruktiven Lebensmuster auszubrechen. Aber es war ein langer und schwerer Kampf, nach all dem, was ich durchgemacht hatte, den Glauben an mich selbst zu finden, sagt sie ehrlich.

Als Zwanzigjährige auf der Flucht aus einer strengen Glaubensgemeinschaft traf Gunn den Mann, mit dem sie heute verheiratet ist. Sie zweifelt nicht einen Augenblick daran, daß er es war, der sie vor dem Untergang rettete.

- Ich war so tief unten, daß ich ernstlich daran dachte, mich zu prostituieren. Was kann dies noch für einen Körper bedeuten, der so schmutzig wie meiner ist, dachte ich. Ich lebte von der Sozialhilfe und war deprimiert und einsam. Die Freundschaften, die ich knüpfte, waren oberflächlich, denn ich hatte so große Probleme, zu zeigen, wer ich war.

Thomas wurde die Rettung. Ein Hoferbe verliebte sich in Gunn und machte es ihr ganz klar, daß er sich nicht um ihre Vergangenheit kümmerte.

- Langsam aber sicher begann ich ihm zu vertrauen. Thomas ist der erste Mensch, dem ich mich geöffnet habe, sagt sie und lächelt.

Das Paar wohnt nun auf seinem heimischen Hof und Gunn hat mit ihrer Familie vollständig gebrochen.

Endlich frei

- Mein Mann glaubte daran, daß ich ein guter Mensch sei. Er sah in mir die Lebensqualität. Das Schwierigste für mich war, mit dem Lügen aufzuhören. In der Welt, in der ich aufgewachsen war, war Lüge ein Mittel zum Überleben. Es beschützte mich vor vielem Schmerzhaften.

Nun ist sie ganz damit beschäftigt, abends die weitergehende Schule zu besuchen. Sie hat eine neue Entdeckung gemacht: daß es für sie leicht ist zu lernen.

- Es gelang mir in der Tat, ohne eine Aufgabe zu machen, durch die Jugendschule zu kommen. Weder die Schule noch die Familie kümmerte sich darum. Wenn ich nur meine Pflichten daheim erledigte, kümmerten sich weder Vater noch Mutter darum, was ich lernte. In ihren Augen bestanden meine Zukunftsaussichten darin, einen Haufen Kinder zu gebären. Dafür benötigt man keine guten Schulnoten.

Gunn verließ die Jugendschule mit "Genügend" in allen Fächern und fiel in Gymnastik durch. Ein weiterer Schulbesuch war mit solch schlechten Ergebnissen undenkbar.

- Ich war daheim einige Jahre lang die Hausgehilfin, bevor ich nach Oslo floh. Dort fühlte ich, daß das Leben so sinnlos sei, daß. es sich nicht lohne zu leben. Ich versuchte zweimal, mir das Leben zu nehmen. Glücklicherweise gelang es mir nicht.

Sie zeigt mir ihre Zeugnisse: nur gute Noten. Strahlend berichtet Gunn, daß sie vorhat, sich als Sozialarbeiterin ausbilden zu lassen. Sie möchte Menschen helfen, die es schwer haben.

- Ich habe eine Tochter bekommen, die ich mehr als alles andere liebe, und ich weiß, daß sie ein sicheres Aufwachsen voll von Liebe erhalten soll. Meine größte Angst ist jetzt, daß sie in ein solches Milieu geraten könnte, mit dem ich gebrochen habe. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich täte, wenn sie als Achtzehnjährige heimkäme und mir sagte, sie wolle Mitglied der Sekte werden.

Ich habe gesehen, daß dem Menschen eine phantastische Möglichkeit gegeben ist, sich zur Freiheit und zum Licht auszustrecken. Mit meinem Hintergrund ist jeder Tag in einem normalen Leben ein großes schönes Geschenk. Ich hoffe nur, daß meine Geschichte zur Warnung für alle Frauen dienen kann, die mit dem Gedanken spielen, einer religiösen Sekte beizutreten. Das Frauenbild, das sie praktizieren, ist erschreckend und entwürdigend.


Kommentar des Übersetzers: Der zweite Absatz, beginnen mit "Die Begrenzung der Kinderzahl ist ungöttlich", ist ein fast wörtliches Zitat aus Elias Aslaksen, Livets Ånds Lover (Die Gesetze des Geistes des Lebens), Kapitel 6: Barnebegrensnings motlov (Das Gesetz gegen die Begrenzung der Kinderzahl). Aslaksen war der oberste Leiter der "Smiths Freunde" von 1943 bis zu seinem Tod 1976. Es handelt sich also in diesem Bericht mit Sicherheit um die Sekte "Smiths Freunde". Friedrich Griess