The Tablet - 07/04/2001

Laßt den Geist atmen

Kardinal Franz König

Der Dialog zwischen den Religionen ist wesentlich für den Frieden zwischen den Nationen. Der Alt-Erzbischof von Wien plädiert dafür, daß jenen Theologen, die einen solchen Dialog weiterführen, die Zügel gelockert werden sollen, damit die Absichten des Papstes und des Zweiten Vatikanischen Konzils Vorrang erhalten können..

INTERRELIGIÖSER Dialog ist in einer pluralistischen globalen Kultur lebenswichtig. So spricht Papst Johannes Paul II in seinem neuen apostolischen Schreiben Novo Millennio Ineunte vom 6. Januar dieses Jahres von den "großen Herausforderungen des interreligiösen Dialogs, zu dem wir uns im neuen Millennium verpflichten sollen" Dieser Dialog "muß weitergehen", fordert er nachdrücklich. Wozu ich hinzufügen würde - ohne Friede zwischen den Weltreligionen wird es keinen Frieden unter den Nationen geben. Weil früher über andere Zivilisationen zu wenig bekannt war, pflegten Christen Mitglieder nichtchristlicher Religionen als "Heiden" und "Götzendiener" und ihre Religionen als abergläubische und falsche Religionen anzusehen. Der interreligiöse Dialog hat jedoch neue Einsichten eröffnet.

Das Zweite Vatikanische Konzil war das erste, welches das Thema des interreligiösen Dialogs und des religiösen Pluralismus aufnahm - die Interpretation der Bedeutung der Verschiedenheit der Weltreligionen. Das kurze Dekret des Konzils Nostra Aetate erklärt, daß in einer Welt, in der die Völker näher zusammenrücken, die Kirche "ihre Beziehungen zu den Nichtchristen sorgfältiger überprüft". Das Konzil fragte nicht, ob es solche Beziehungen gebe, sondern "welche Arten von Beziehungen" existierten und ermutigt werden sollten. Die Frage sei wichtig, erklärte es, weil es die Pflicht der Kirche sei, die "Einheit und Liebe unter den Nationen" zu pflegen.

Mit der Einladung an die Vertreter aller Weltreligionen, mit ihm 1986 in Assisi zusammenzutreffen, öffnete Johannes Paul II die Augen der Menschen dafür, was dies bedeutete. Seine Aktion entsprach dem Konzilstext: "Die katholische Kirche weist nichts von dem zurück, was in diesen Religionen wahr und heilig ist." Deshalb erklärt Nostra Aetate: "Die Kirche nötigt ihre Söhne und Töchter, in Klugheit und Liebe mit Mitgliedern anderer Religionen in Diskussion und Zusammenarbeit einzutreten. Laßt Christen, während sie über ihren eigenen Glauben und über ihren eigenen Lebensweg Zeugnis ablegen, die spirituellen und moralischen Wahrheiten, die sie unter Nichtchristen gefunden haben, anerkennen, bewahren und ermutigen."

Beim Konzil öffnete sich die Kirche auf positive Weise anderen religiösen Traditionen und anderen Religionen gegenüber in einem weit größeren Maß als je zuvor. Johannes Paul II bekräftigte diese positiven Bewertungen, indem er auf die Allgegenwart des Göttlichen und Jesu Christi und des Heiligen Geistes in den anderen nichtchristlichen Religionen hinwies, wie z.B. in seinen Enzykliken Redemptor Hominis (1979) und Redemptoris Missio (1990).

Das Zweite Vatikanische Konzil beantwortete jedoch nicht in gleicher Weise die Frage nach der Art der Beziehungen zwischen der Kirche und den nichtchristlichen Religionen. Die Theologie des religiösen Pluralismus stellt nicht nur die Frage nach menschlichen Werten, sondern auch nach religiösen Werten und ihren Bedeutungen - ihre Wichtigkeit für die Erlösung. Ich fühle persönlich, daß die Anerkennung einiger erlösender Elemente in anderen Religionen nicht die Schätze unserer eigenen Religion vermindert.

Eine umfangreiche Menge von Literatur zeugt vom großen Interesse, das diese neuen theologischen Fragen hervorgerufen haben. Die Theologie der Religionen und die Theologie des religiösen Pluralismus wurden neben Religionsphilosophie und vergleichenden Religionsstudien als neue Disziplinen akzeptiert. Christen sehen sich nun mit zusätzlichen Fragen konfrontiert, welche neue Schwierigkeiten aufwerfen, aber es auch möglich machen sollten, ihre eigene Entscheidung für den christlichen Glauben zu stärken und zu vertiefen.

Die Vatikanische Kongregation für die Glaubenslehre hat diesem Thema ein ausführliches Dokument mit dem Namen Dominus Iesus gewidmet. Diese Erklärung leitet die Aufmerksamkeit auf die Schwierigkeiten, welche religiöser Pluralismus für die missionarische Verkündigung der christlichen Botschaft verursachen kann. Der Text geht auf die Schwierigkeiten und Gefahren der Relativierung dieser missionarischen Verkündigung ein. Er besteht auf der "einzigartigen und universellen Erlösung", die durch Jesus Christus bewirkt wurde: Die universelle Erlösung wird durch den einen dreifaltigen Gott durch das Mysterium der Menschwerdung des Sohnes Gottes, der am Kreuze starb und vom Tode auferstand, gebracht.

Dominus Iesus verurteilt keine Autoren, Bücher oder theologischen Schulen namentlich. Und trotz der Warnungen, die es bezüglich einer Relativierung der christlichen Erlösungslehre ausdrückt, wenn diese die missionarische Verkündigung der Kirche gefährden, lädt die Glaubenskongregation die Theologen ein, über die Existenz anderer religiöser Erfahrungen und über ihre Bedeutung in Gottes Erlösungsplan nachzudenken: sie sollten "erforschen, ob und in welcher Weise die historischen Gestalten und positiven Elemente dieser Religionen im göttlichen Erlösungsplan ihren Platz haben könnten".

Zu dieser Zeit, als dieses Dokument der Glaubenskongregation vorgestellt wurde (5. September 2000), war bereits ein anderer kürzerer Text, eine sogenannte Notatio oder Bekanntmachung vorbereitet worden, der sich nur auf einen Autor, P. Jacques Dupuis SJ, und auf eines seiner Bücher bezog, Towards a Christian Theology of Religious Pluralism [Zu einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus], das er ursprünglich auf englisch geschrieben hatte und das als eine Pionierleistung in den neuen und komplexen Fragen des religiösen Pluralismus betrachtet werden kann. Bis die Untersuchung seines Buches begann, lehrte P. Dupuis an der theologischen Fakultät der Gregorianischen Universität in Rom. Sein Buch wurde zuerst im Herbst 1997 veröffentlicht und wurde seitdem in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach neu aufgelegt. In der Behandlung des Buches von P. Dupuis ging die Glaubenskongregation jedoch nicht mit der selben offenen Gesinnung bezüglich interreligiösem Dialog und religiösem Pluralismus vor wie in den Stellen von Dominus Iesus, die ich oben zitiert habe.

Am 26. September 1999, neun Monate nach der Veröffentlichung seines Buches, wurde der berühmte Autor durch seinen Generaloberen informiert, daß die Glaubenskongregation es angeklagt hatte, schwerwiegende Lehrfehler zu enthalten, worauf P. Dupuis äußerst bestürzt war. Er war jedoch in der Lage, auf den detaillierten Fragenkatalog der Glaubenskongregation zu seinem Buch zu antworten. Aber die Glaubenskongregation sandte am 1. September 2000 dem Autor die erste Version einer Benachrichtigung, die unverzüglich veröffentlicht werden sollte und die von Papst Johannes Paul II bereits zweieinhalb Monate vorher, nämlich am 16. Juni, unterzeichnet worden war.

Inzwischen konnte ein theologischer Berater beweisen, daß es in Dupuis' Buch nicht eine einzige Stelle gab, welche die Anklage der Glaubenskongregation bezüglich den Glauben betreffender schwerwiegender Fehler rechtfertigte. Und tatsächlich hatte die erste Benachrichtigung der Glaubenskongregation nicht darauf hingewiesen, auf welche Stellen im Buch sie sich bezog. So wurde am 6. Dezember 2000 eine zweite mildere Version der Benachrichtigung entworfen, die wiederum am 24. November von Papst unterzeichnet worden war. Diese Version sprach nur von "Zweideutigkeiten" in Glaubensfragen. Diese zweite Version wurde nochmals verändert, und eine dritte Version wurde entworfen, die offiziell am 26. Februar 2001 veröffentlicht wurde. Der Papst hatte diese dritte Version am 19. Januar 2001 unterzeichnet.

Die erste und die zweite Version dieser Benachrichtigung waren beide von P. Hans Kolvenbach, dem Generaloberen der Jesuiten, und von P. Gerald O'Collins, Dupuis' theologischem Berater, eingesehen worden. Heute befinden sich diese Versionen in den Archiven der Glaubenskongregation. Die Information, die ich hier wiedergebe, stammt aus einem Gespräch P. Dupuis' mit Journalisten in Rom, als er die endgültige Version der Benachrichtigung am 26. Februar 2001 erhielt.

Es ist aus der Weise, wie diese Benachrichtigung zustande kam, offensichtlich, daß die Glaubenskongregation mit ihrem prozeduralen Mechanismus Probleme hat. Ich habe hier vier Hauptkritikpunkte anzubringen. In diesem besonderen Fall ist es schockierend, daß Dupuis über die Untersuchung der Glaubenskongregation durch seinen Generaloberen und nicht direkt informiert wurde. Die Vorgangsweise der Glaubenskongregation, die früher gewöhnlich inquisitorisch war, wurde durch Paul VI am letzten Tag des Zweiten Vatikanischen Konzils - 7. Dezember 1965 - geändert und sehr verbessert. Die Idee bei der Information des Generaloberen anläßlich der Untersuchung gegen ein Mitglied eines religiösen Orden war, dem ganzen Orden zu ermöglichen, ihm zur Hilfe zu kommen. Aber Dupuis ist ein berühmter Professor der Theologie und ein Experte in seinem Gebiet, ebenso qualifiziert wie die Mitglieder der Glaubenskongregation - warum sollte man ihn nicht direkt oder - aus Höflichkeit - gleichzeitig mit seinem Generaloberen informieren?

Es war außerdem für eine Untersuchung viel zu früh. Das Buch war erst vor neun Monaten veröffentlicht worden und der interreligiöse Dialog ist ein relativ neues, kompliziertes und sehr wichtiges Thema. Theologen und anderen, die auf diesem Gebiet arbeiten, muß größtmögliche Freiheit gewährt werden. Durch die so frühe Untersuchung gegen Dupuis riskierte die Glaubenskongregation, die Diskussion zu verengen, jene Theologen zu entmutigen, die sich damit beschäftigen, und die Furcht zu erwecken, das Thema sei "gefährlich". Man fragt sich auch, warum die Benachrichtigung dreimal hintereinander dem Papst zur Unterschrift vorgelegt wurde, bevor die dritte und endgültige Version veröffentlicht wurde. Dies ist sicher die Bestätigung dafür, daß die Glaubenskongregation übervorsichtig und viel zu schnell vorging.

Ein dritter wichtiger Gesichtspunkt ist, daß keine speziellen Passagen in dem Buch genannt wurden. Die Anklagen der Glaubenskongregation bezogen sich daher auf das Buch als ganzes. Wenn ich ein ganzes Buch zurückweise, dann bedeutet das sicher, daß ich nicht viel davon halte, eine negative Beurteilung des interreligiösen Dialogs als solchem, der im Gegensatz zu den Bestrebungen des Papstes und des zweiten Vatikanums steht.

UND dann gibt es noch den menschlichen Aspekt, der vielleicht der wichtigste Mangel überhaupt ist. Die Glaubenskongregation befaßt sich nicht nur mit Büchern, sondern auch mit ihren Autoren, die menschliche Wesen sind, in diesem Fall mit einem berühmten Professor, der in einer renommierten Universität lehrte und der sich zur Treue gegenüber dem Lehramt der Kirche verpflichtet hatte. Die Glaubenskongregation verletzte P. Dupuis tief und der Schock, den er erhielt, führte zu Gesundheitsproblemen und Depressionen, von denen man jedoch hofft, daß sie nur vorübergehend sind.

Dies führt uns zu dem Kommentar, den die Glaubenskongregation am 12. März im Internet veröffentlichte ("Commentary on the Notification of the Congregation for the Doctrine of the Faith Regarding the Book Towards a Christian Theology of Religious Pluralism by Fr. Jacques Dupuis SJ"). Er befindet sich auf der Website des Vatikan, www.vatican.va (siehe Congregations und dann CDF). Die Glaubenskongregation verteidigt sich darin gegen die Anklage der "unverdienten Härte" bezüglich Dupuis' Benachrichtigung und weist darauf hin, sie sei im traditionellen Stil verfaßt, in dem Dokumente der Glaubenskongregation immer verfaßt seien.

Der Umstand, daß sich die Glaubenskongregation veranlaßt sah, sich selbst zu verteidigen, zeigt klar, daß sie wegen ihres unhöflichen und negativen Tons in scharfe Kritik geraten war. Und tatsächlich waren ihre Worte oft nicht nur unpersönlich, sondern vernichtend, als ob sie einem Katechismus des sechzehnten Jahrhunderts entnommen wären. Die Kongregation hat die menschliche Sicht vernachlässigt, die tiefe Verwundung, die sie verursacht hat, nicht beachtet, was alles vermieden hätte werden können, wenn sie es anders angepackt hätte. Niemand verliert nur dadurch an Autorität, daß er höflich ist.

Ich kann nur hoffen, daß das Thema "Interreligiöser Dialog und religiöser Pluralismus" nicht nachteilig beeinflußt wurden. Wir sollten eher umso entschiedener den interreligiösen Dialog vorantreiben und ermutigen, besonders vom christlichen Standpunkt aus. Das Recht und sogar die Pflicht der Glaubenskongregation, diese Diskussionen mit kritischen Bemerkungen zu begleiten, ist selbstverständlich gegeben.

Die Glaubenskongregation hat jedoch zumindest darin Recht, wenn sie sagt, der interreligiöse Dialog erhebe heute einmal mehr die letzte Frage: war Jesu Christus ein großer religiöser Leiter, aber letztlich nur menschlich? Oder sprach Unser Vater im Himmel durch ihn, um auf diese ganz wichtigen endgültigen Fragen, die alle Menschen betreffen, hinzuweisen und sie zu beantworten? Wir Christen sind von Letzterem überzeugt. Nicht nur das Konzil von Nicäa, sondern vor allem das Konzil von Chalcedon hatte sich mit dieser Frage zu befassen, die Jesus Christus selbst zuerst an seine Apostel richtete: "Wofür haltet ihr mich?"

P. Dupuis hat immer klar Jesus Christus als den Sohn Gottes und universalen Erlöser bekannt. Aber gerade dieses Bekenntnis - wie es auch bei Papst Johannes Paul II der Fall ist - ermutigt ihn, die aktive Gegenwart Christi und des Heiligen Geistes in den Religionen und Kulturen der Welt zu suchen und anzuerkennen.

Übersetzung: Friedrich Griess