Drentse Courant, 24. 2. 1996:

Der Schatzmeister der Groninger Hilfsorganisation:

Fundamentalistische Sekten verschweigen Leid

Groningen. Die Stiftung Alternatives Psychiatrisches Sanatorium in Groningen wendet sich bezüglich praktischer Hilfeleistung an Menschen, die durch negative Lebenserfahrungen in Probleme gekommen sind.

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Von Ab Drijver
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Dem Schatzmeister Rob de Wolff (47) zufolge zeigt die Praxis, daß ein beträchtlicher Teil der Hilfe Suchenden unter den Folgen einer strengen sektiererisch-religiösen Erziehung zu leiden hat. Die Anzahl der Patienten, welche den Weg zur Stiftung zu finden weiß, wächst ständig. Einer der "Lieferanten" ist die Norwegische Bruderschaft, eine christliche Sekte, die momentan im Gerede ist.

Von Zeit zu Zeit kommen kleine geschlossene Glaubensgemeinschaften auf negative Weise dadurch in die Medien, daß darinnen (zuweilen lang verschwiegen) von sexuellem Mißbrauch die Rede ist. Das Bekenntnis, das der 53-jährige Rijssener Religionslehrer V. diese Woche abgelegt hat, ist dafür ein sprechendes Beispiel. Der Mann gibt zu, daß er in den vergangenen Jahren mit mindestens dreißig Schülern der Schulgemeinschaft Reggesteijn in Rijssen Unzucht getrieben hat. Der Religionslehrer, Vater einer Familie mit elf Kindern, ist ein geschätztes Mitglied der international operierenden Norwegischen Bruderschaft, einer fundamentalistischen christlichen Sekte, die in den Niederlanden schätzungweise zweitausend Anhänger zählt.

Die Norwegische Bruderschaft zeichnet sich durch eine unerbittliche Interpretation bestimmter Bibeltexte aus. Die Frau ist dem Manne untertänig, und Kinder dürfen auf Grund von Bibeltexten körperlich gezüchtigt werden, wenn sie sich nicht entsprechend der kirchlichen Auffassung betragen.

Die erste Offenbarung der liebevollen Nebenbeschäftigung des Religionslehrers führte vor mehr als zehn Jahren dazu, daß ihm das Rederecht bei den Zusammenkünften der Bruderschaft entzogen wurde. Aber dabei blieb es. Der Mann setzte seine pädophilen-homophilen Annäherungen an minderjährige Knaben in- und außerhalb der Glaubensgemeinschaft fort.

Rob de Wolff war vierzehn Jahre lang ein geachtetes Mitglied der Norwegischen Bruderschaft. Er lernte die Denk- und Lebensweise innerhalb der Gemeinschaft vom "Hafer bis zur Grütze" kennen. Aus seinen Erfahrungen gibt er gegenwärtig Information an Menschen weiter, die als Folge einer sektiererisch-religiösen Erziehung in psychische Not geraten sind. Er setzt sich unter anderem für die Errichtung eines nationalen Stützpunktes ein, mit Hilfe dessen ehemalige Sektenmitglieder aufgefangen und begleitet werden können.

;De Wolff zufolge sind Sekten wie die Norwegische Bruderschaft 'Brutnester von Leid, Elend und Erpressung'. Sexueller Mißbrauch und Kindesmißhandlung kommen ihm zufolge regelmäßig vor. De Wolff: "Innerhalb der Gemeinschaft ist die Position des Mannes nahezu unantastbar, solange er seine Sünden bekennt und demütig um Vergebung bittet. Ich war jahrelang in der Jugenderziehung tätig und habe viele Berichte über Mißhandlung, Einschüchterung und sexuellen Mißbrauch gehört. Man würde so etwas nicht in einem streng-christlichen Milieu erwarten. Die Familien sind durchgehend sehr groß. Wenn z.B. sechs Jungen und fünf Mädchen in einer solchen Familie aufwachsen und auf strenge buchstäbliche Weise mit manchen Bibeltexten bezüglich der aufblühenden Körperlichkeit und Sexualität in der Pubertät umgegangen wird, dann entstehen gigantische Spannungsfelder. Auch außerhalb der Familie dürfen Jungen sich nicht ansehen lassen, daß sie für Mädchen bestimmte Gefühle hegen. Das Umgekehrte ist ein noch viel größeres Tabu. Ein Mädchen, das sich nach einem hübschen Jungen umsieht, ist beinahe schon eine verlorenen Seele. Aber die aufgestaute Spannung wird sich früher oder später doch entladen. Innerhalb der großen Familien gibt es sehr viele Dinge, welche das Tageslicht nicht vertragen können".

De Wolff kehrte der Bruderschaft den Rücken und erfuhr, wie mühsam ein solcher Schritt sein kann. Er wurde von Schuldgefühlen heimgesucht und kämpfte ziemlich lang gegen den Gedanken, daß Gott ihn für seinen Abfall strafen würde. Schließlich wußte er sich selbst aus diesem geistlichen Gefängnis zu befreien.

Sinngebung

Rob de Wolff versucht, ehemaligen Sektenmitgliedern einen neuen religiösen Horizont zu geben. "Wenn Menschen eine Sekte verlassen, brauchen sie Gott nicht loszulassen. Wir versuchen, ihnen deutlich zu machen, daß da in der Welt viele religiöse Auffassungen bestehen, und daß keine einzelne Sekte diesbezüglich allein Recht hat. Die meisten Menschen haben in ihrem Leben ein Gefühl von Sinngebung nötig. Jeder hat das Recht, sich seinen eigenen Einsichten, Gefühlen und Auffassungen zufolge zu entfalten. Ein religiöser Leiter, der seinem Gefolge 'die absolute Wahrheit' verkündet, richtet in der Praxis viel Böses an. Es wird Zeit, daß die Mauern rund um diese Sekten abgebrochen werden".

Übersetzung: Friedrich Griess