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Aktualisiert 31.01.04, 00:26 Uhr

Die verschrobene Logik der Sekte

Eine Frau wurde getötet, ein Mann ist verletzt. Drei Personen aus demselben Milieu sind im Gefängnis, der Untaten bezichtigt. Dennoch hält die Gemeinde in Knutby voll zu ihren verhafteten Freunden. Wie ist das möglich?

Kommentar

Der Artikelverfasser [John Einar Sandvand, d. Übers.] hat früher das Buch "Religion til salgs. Søkelys på Scientologikirken" [Religion zu verkaufen. Blickpunkt Scientology-Kirche] verfaßt (1993).

Das Muster hat sich in verschiedenen sektiererischen Gruppen wiederholt. Ein starker Leiter verwaltet die Wahrheit, Menschen scharen sich um ihn, normale gesunde Skepsis verschwindet, Leben und Lehre gleiten ins Extreme, während die Gruppe sich von der Welt außerhalb abwendet und einmauert. Gewaltige Spannungen bauen sich auf: Schließlich explodiert das. Oft geht die Gruppe in Auflösung und die Mitglieder verteilen sich, viele als psychische Wracks ohne festen Halt. Wir haben aber auch weit tragischere Folgen wie Massenselbstmord und Gasangriff gesehen. Diesmal ist es Mord.

Die Filadelfia-Gemeinde in Knutby ist keine gewöhnliche Pfingstgemeinde, bei der die Glaubensgenossen ohne besondere Dramatik kommen und gehen. Statt dessen bewegte sich die Gemeinde so weit ins Extreme hinaus, daß sie alle charakteristischen Kennzeichen einer Sekte bekam. Und in einer Sekte hören gewöhnliche Spielregeln für menschliche Umgangsformen auf. Statt dessen entsteht ein Milieu, in dem jede Form von Machtmißbrauch gute Bedingungen hat, ja wo oft der Machtmißbrauch der eigentliche Kern des inneren Lebens ist.

Immer wieder haben Aussteiger aus Sekten erschütternde Beschreibungen dafür vorgelegt, wie sie gehirngewaschen wurden und wie ihr Leben zerstört wurde. Wir mußten von jungen Menschen in Oslo hören, die Hundertausender liehen, um Kurse bei Scientology zu besuchen. Ehemalige Mitglieder der Zeugen Jehovas und der Smiths Freunde haben jeden Kontakt mit der engeren Familie verloren. In der Moon-Sekte wurden jungen Norwegern Ehepartner durch einen Pastor in Südkorea zugeteilt.

Kennzeichen:

Denn die Sekte hat volle Kontrolle über die Mitglieder. Und die Wirkmittel, die verwendet werden, sind oft die gleichen:

Die Wahrheit gibt es nur auf schwarz und weiß. In einer Sekte ist niemals Platz für Nuancen. Es gibt keine Grauzonen, die Botschaft ist absolut. Deswegen muß jeder Zweifel sofort unterdrückt werden. Die Mitglieder werden einer "Behandlung" unterzogen und müssen ihre Sünde erkennen. Wer sich nicht einordnen will, wird ausgeschlossen.

Die Leitung hat absolute Autorität und verwaltet allein die Wahrheit. Sektiererische Bewegungen haben fast immer eine starke Leitergestalt, die sehr viel vom Leben der Gruppe organisiert. Er - nur selten ist es eine Frau - ist Ankläger und Richter und erhält einen fast göttlichen Status. Die Autorität wird gerne damit begründet, daß der Leiter eine besondere Offenbarung von höheren Mächten bekam. Die Autorität des Leiters in Frage zu stellen führt zu augenblicklichen Sanktionen.

Die Sekte hat volle Kontrolle über das soziale Leben der Mitglieder. Dabei zu sein fordert dich ganz. Gewöhnlich wird erwartet, daß die Mitglieder alle ihre Freizeit für die Tätigkeiten der Sekte aufwenden. Der Einzelne ist in das sehr dichte soziale Netzwerk eingebunden. Gleichzeitig wird oft eine starke Skepsis dagegen und manchmal auch ein Verbot geäußert, Freundschaften außerhalb der Gruppe zu knüpfen. Einige Sekten verweigern ihren Mitgliedern den Kontakt mit skeptischen Familienmitgliedern.

Die Gesellschaft außerhalb wird als Feind aufgefaßt. Die Mitglieder werden bezüglich des Unterschiedes zwischen "uns" und "die Welt" gedrillt. Man wird gelehrt, Verfolgungen zu erwarten und zu erdulden. Angriffe von außerhalb werden als ein selbstverständlicher Teil eines Geisteskampfes aufgefaßt, in dem sie selbst auf der richtigen Seite stehen und die anderen die Kräfte des Bösen darstellen.

Zweifel sind in einer solchen Gruppe ausgeschlossen. Kaum deutet ein Mitglied Skepsis an, trifft es schon die Strafe. Das kann stundenlange Verhöre beim Pastor bedeuten. Mancherorts muß das Mitglied schamerfüllt vor der Gemeinde stehen und um Entschuldigung bitten. Alle sollen wissen, daß es ein sündiger Mensch ist, der Gottes Willen getrotzt hat. Das Ergebnis ist, daß die Mitglieder den Mund halten, den Zweifel verdrängen und es sein lassen, Fragen zu stellen.

Auszutreten ist kaum eine Alternative, wenn alle Freunde und Verwandten auch in der Bewegung sind. Daß Mitglied weiß, daß in dem Augenblick, in dem es ausbricht, alle Brücken abgebrochen werden. Niemand will mehr mit ihm sprechen. Das Netzwerk bricht zusammen. Dazu kommt die Furcht vor den dramatischen Konsequenzen dessen, nicht die richtige Lehre zu befolgen. In fast allen Sekten wird den Mitgliedern eingetrichtert, wie die Katastrophe alle treffen wird, die nicht auf die Botschaft hören. Deshalb gehört oft sehr viel dazu, bevor Mitglieder aus der starken Gemeinschaft in einer Sekte ausbrechen. Solange es möglich ist, unterdrücken sie den Zweifel, sogar sich selbst gegenüber. Kritik und Erschütterungen - ja sogar Mord, wie wir gesehen haben - können abprallen und manchmal sogar die eigene verschrobene Logik der Sekte verstärken.

Wenn dann zum Schluß der Bruch kommt, vielleicht auf massiven Druck von Seiten der Familie, wird es fast immer sehr dramatisch. Das Mitglied wird vom Freund zum Feind und verliert in einem einzigen Augenblick alles, worauf es sein Leben aufgebaut hat. Für manche wird der Bruch so brutal, daß sie den Griff auf ihr eigenes Leben verlieren.

Machtmißbrauch

Religion spielt auf einigen der empfindlichsten Saiten im Leben der Menschen. Wenn religiöse Gruppen zu Sekten werden, mit einem autoritären Leiter, ist das Tor zum Machtmißbrauch geöffnet. Der Machtmißbrauch wird besonders gefährlich, weil ihm eine religiöse Begründung gegeben wird. Damit wird der Widerstand erstickt. Statt zu protestieren werden die Mitglieder dazu angeleitet, die Übergriffe als einen Ausschlag des Willens Gottes zu deuten.

Ein sektiererisches Milieu wird fast als ein Reflex sich in sich selbst zurückziehen, wenn es eine Tragödie wie die in Knutby erlebt. Die Gesellschaft außerhalb wird zu einem bedrohlichen Feind, der die ganze Lebensgrundlage angreift. Denn der Leiter und das Leben der Gemeinde sind so eng miteinander verbunden, daß ein Bruch kaum denkbar ist. Fällt der Leiter, so fällt auch die Gemeinde.